Zu wenig Risiko ist auch ein Risiko
Wenn sich das Jahr zu Ende neigt, dominieren die Planungen für die kommenden Anlageperioden. Vielerorts will man mehr Risiko nehmen. Was institutionelle Investoren von Cottbus bis Cambridge warum planen, erfuhr portfolio institutionell bei Apo Institutionell und bei Lupus Alpha.
In die Gefühlslage kleiner Kinder, die mit zu wenig Taschengeld im Spielwarenladen stehen, können sich Versicherungen derzeit gut einfühlen. Auch sie haben zu wenig Spielgeld, pardon Risikokapital, um sich nun die schönen Renditen auf den Anleihemärkten oder bereits schon interessante Opportunitäten auf dem Immobilienmarkt zu sichern. Geschwundene Liquidität ist für den gesamten Versicherungssektor eine Herausforderung. So informiert der Versicherungsverband GDV, dass im vergangenen Jahr der „Inflationsschock, der Zinsanstieg und die hohe Unsicherheit“ zu rückläufigen Beitragseinnahmen beigetragen haben. Das Geschäft mit Lebensversicherungsverträgen gegen Einmalbeitrag sei um etwa 18 Prozent geschrumpft.
Diese Liquiditätskalamitäten kennen berufsständische Versorgungswerke weniger. Die Einzahlungen der Anspruchsberechtigten sind obligatorisch und bei vielen Versorgungswerken immer noch deutlich höher als die Auszahlungen. Die Zahlungsströme – aber auch, dass Versorgungswerke keinen Garantie-, sondern einen Rechnungszins haben – sind ein wesentlicher Grund, offensiver als eine Lebensversicherung anlegen zu können. So stehen bei der Ärzteversorgung Land Brandenburg etwa 10.000 Beitragszahler 2.000 Altersrentner gegenüber. Selbst beschreibt das Versorgungswerk zudem die eigene Alterszusammensetzung als „insgesamt günstig“. Knapp die Hälfte der Mitglieder sind 45 Jahre alt oder jünger. Während die Bayerische Ärzteversorgung im Oktober bereits den 100. Geburtstag feiern konnte, befindet sich das Brandenburger Versorgungswerk auch erst im 32. Geschäftsjahr. Wie die Vorsitzende des Verwaltungsausschusses der Ärzteversorgung Land Brandenburg, Andrea Kruse, auf dem jährlichen Forum der Apo-Bank, Apo Institutionell, in Düsseldorf berichtete, sind die nach Marktwerten fast drei Milliarden Euro an Anlagevermögen Ende August unter anderem zu 29 Prozent in Immobilien, zu knapp 21 Prozent in Aktien und zu knapp 15 Prozent in Alternatives investiert. Zur diesjährigen Veranstaltung Apo Institutionell mit vielen interessanten Vorträgen und Debatten konnte die Apo-Bank rund 60 Vertreterinnen und Vertreter von Versorgungswerken, Pensionskassen und weiteren Kapitalsammelstellen sowie aus der Finanzbranche in Düsseldorf begrüßen.
Das in Cottbus ansässige Versorgungswerk, das nach dem offenen Deckungsplanverfahren und mit etwa 400 Millionen Euro an Gesamtreserven wirtschaftet, baute seine Alternatives-Quote seit 2012 auf. Aber 29 Prozent in Immobilien? Gemäß der Anlageverordnung wären eigentlich nur maximal 25 Prozent möglich. „Wir haben bei der Aufsicht beantragt und die Erlaubnis bekommen, die Immobilienquote auf bis zu 30 Prozent in Immobilien vergrößern zu dürfen“, erklärt Kruse. Diese Sondererlaubnis führt Kruse vor allem darauf zurück, dass das aufsichtführende Brandenburger Ministerium von der Immobilienstrategie des Versorgungswerks überzeugt ist. Diese beinhaltet beispielsweise einen Secured-Income-Ansatz, bei dem mit staatlichen und halbstaatlichen Mietern Mietverträge ohne Leverage über 20 Jahre abgeschlossen werden. „Die regelmäßigen Cashflows bei einer Ausschüttungsrendite über dem Rechnungszins sorgen für Stabilität. Wir konnten ja im Direktbestand nicht mehr sinnvoll anlegen“, blickt Kruse auf die Zero-Zins-Zeiten zurück. Zudem wurden die Immobilienbestände in der Vergangenheit globaler diversifiziert. Eine globalere Ausrichtung erfuhren auch die liquiden Assets. Bei diesen kam ein Wechsel von überwiegend aktiven Multi Asset-Mandaten hin zu spezialisierten Mandaten hinzu, teils aktiv, teils passiv gesteuert.
Heute sind die Zinsen jedoch für Immobilieninvestoren bekanntlich vor allem belastend, da die Finanzierungskosten steigen. In Cottbus hat man jedoch Möglichkeiten, sich zu behelfen. „Bei Neufinanzierungen droht ein negativer Leverage-Effekt, im Falle von Abwertungen würde die Fremdkapitalquote steigen, sagt Andrea Kruse. „Da aber unser Cashflow positiv ist und wir in der Quote noch Luft haben, können wir das Problem, sofern möglich, durch mehr Eigenkapital lösen.“
Wie in der Versicherungswelt liegt der Fokus des Versorgungswerkes in der jüngeren Vergangenheit auf der Rentendirektanlage. Diese erreichte bei einer Quote von zwölf Prozent ihren Tiefpunkt. „Damals haben wir begonnen, die Rückläufer wieder zu reinvestieren“, so Kruse. Im Jahr 2020 fing das Versorgungswerk an, den Rentendirektbestand sukzessive wieder hochzufahren. Jüngst erreichte dieser 14,7 Prozent mit dem ersten Kupon-Anstieg seit Jahren. Weitere Erhöhungen auf bis zu 16 Prozent sind entsprechend der ALM-Studie und der strategischen Asset-Allokation geplant. Mit Blick nach vorn wird sich der Nutzen aus den Direktbestands-Aufstockungen nicht nur in Form von höheren Zinserträgen ergeben, sondern auch in einem Mehr an Stabilität. Kruse: „Wir sehen volatile Märkte. Diese muss die Kapitalanlage aushalten können.“ Gemanagt wird der Rentendirektbestand der Ärzteversorgung Land Brandenburg von der Apo-Bank. Diese empfiehlt allgemein, im Direktbestand die Duration zu verlängern. „Wir haben vermutlich das Leitzinshoch gesehen und die Realzinsen dürften nächstes Jahr unter Druck kommen. Also erhöhen Sie die Duration!“, so die Empfehlung des neuen Chief Investment Officers der Apo-Bank, Reinhard Pfingsten, für die Gäste des Forums.
Als Ständebank der Heilberufler hat die Apo-Bank interessante Einsichten, wie sich die Allokationen bei den berufsständischen Versorgungswerken, aber auch bei Pensionskassen sowie Kirchen und Kommunen, insgesamt entwickelt haben. „In den Jahren 2015 bis 2021 wurde immer mehr in Alternatives und immer weniger in die Rentendirektanlage investiert. Alternatives und Immobilien waren der place to be“, so die Kurzzusammenfassung einer Apo-Allokationsanalyse von Mirko Engels, Leiter Institutionelle Anleger. Auffällig an den präsentierten Daten war zudem, dass größere Einrichtungen größere Alternatives- und Aktienquoten als kleinere Einrichtungen haben. Als möglicher Grund hierfür führte Engels an, dass es größeren Einrichtungen leichter fällt, die für Alternatives nötige administrative Basis, wie Luxemburger Fonds, zu nutzen. Innerhalb der Quoten wurden für konstante Renditeziele die Risiken erhöht. So wählte man beispielsweise in der Immobilienquote statt Core-Strategien häufig Core-plus-Ansätze.
Mit dem Zinsanstieg erfuhren die Allokationsüberlegungen eine Änderung zum Positiven. „Die Nominalverzinsung liegt nun über den Leistungsversprechen. Das ist ein großer Komfort“, konstatiert Engels. „Nun ist eine Neuausrichtung möglich.“ Beispielsweise könne nun eine Risikoreduktion und eine „sortenreinere“ Umsetzung der strategischen Asset-Allokation erfolgen. Risiken über Alternatives sollten Anleger, abhängig auch vom Risikobudget, jedoch weitersuchen. Engels empfiehlt ein „dauerhaftes Exposure“ zu Alternatives – und auch, Aktien nicht zu vernachlässigen: „Liquides Risikokapital ist unterrepräsentativ. Aktien helfen, Risiken zu steuern und antizyklisch im Fall von Opportunitäten zu agieren.“ Dafür müssen jedoch entsprechende Mandate bereits aufgesetzt und parat sein.
Alte Oper bietet großes Kino
Und damit von Düsseldorf nach Frankfurt zum Lupus Alpha Investment Fokus 2024, bei dem institutionelle Investoren in der Alten Oper zum Debattieren über Politik, Ökonomie und natürlich Kapitalmärkte zusammenkamen – und auf deren Risiken beziehungsweise Unsicherheiten. „Man sollte nicht mehr von Risiko reden, sondern Unsicherheit“, erläutert Ingo Mainert, CIO Multi Asset Europe von Allianz Global Investors. „Grund ist, dass man bei einem Risiko Wahrscheinlichkeiten berechnen kann. Bei Unsicherheiten ist dies nicht möglich – und wir sind nicht mehr in einer Welt, in der man Risiken rechnen kann.“ Laut Mainert befinde man sich in einer Vuka-Welt, also in einem Umfeld, in dem Volatilität, Unsicherheit, Komplexität und Ambiguität herrsche.
Folgt man Mainert, dann bewiesen die Lupus-Alpha-Gäste eben nicht Mut zum Risiko, sondern Mut zur Unsicherheit. Ted-Umfragen ergeben, dass 31 Prozent das Risiko hoch- und elf Prozent das Risiko runternehmen wollen. 66 Prozent wollen nächstes Jahr stärker in Aktien investieren. Dagegen votieren nur 44 Prozent für Investment Grade Credits, 27 Prozent für Staatsanleihen und 20 Prozent für Private Markets. Und befragt man Dr. Michael Leinwand, Vorstand für Kapitalanlagemanagement der VBL, so sagt dieser: „Die VBL hat insgesamt die notwendige Risikotragfähigkeit, um auch in 2024 weiterhin ein stabiles und gegenüber 2023 leicht höheres Risiko zu nehmen. Mit Blick auf unsere Liquidität und Cashflows haben wir Platz für illiquide Assets. Wir planen die Aktienquote um zwei bis drei Prozent auszuweiten, werden dies aber vor allem durch Private Equity und Infrastruktur Equity Investments umsetzen. Dort haben wir derzeit noch keine nennenswerte Allokation, wollen hier aber in den nächsten Jahren etwa 1,5 Prozent pro Jahr wachsen. Die Immobilienquote von etwa 16 Prozent wird stabil bleiben, wir streben aber eine bessere Diversifikation an.“ Leinwand teilt mit, dass es sich beim bestehenden Portfolio um relativ neue Wohnungs- und Nahversorgungsbestände handelt, so dass sich im VBL-Portfolio die derzeit Immobilienmarkt-typischen Probleme Leerstand, Finanzierung und ESG-Anforderungen weniger stark wiederfinden. „Künftig werden wir die Anlagen sektoral breiter ausrichten und regional auf Westeuropa ausdehnen. Angesichts des fortgeschrittenen Bewertungszyklus liegt unser Fokus derzeit auf Großbritannien und Skandinavien, wo es bereits erste Transaktionen gibt“, so Leinwand. Wer aber Quoten aufbaut, muss an anderen Stellen abbauen. Bei der VBL trifft es ein Edelmetall. Leinwand: „Wir hatten viel in Gold investiert und das hat sich auch bewährt. Nun sind aber die Opportunitätskosten zu hoch und wir wollen reduzieren.“
Mit Bandbreiten arbeitet dagegen Bernhard Grötsch, Leiter Group Treasury des Technologieunternehmens Rohde & Schwarz: „Ich bin ein Rebalancing-Anhänger. Wenn unsere Aktienallokation am unteren Rand der Bandbreite ist, kaufen wir zu. Das machen wir seit 2008 es und funktioniert relativ gut.“ Risiko sieht man in München also auch in zu wenig Aktien. Eine wichtige Voraussetzung für Zukäufe in schwachen Marktphasen nannte Grötsch auf dem Podium aber auch: „Man muss es sich leisten können.“ Diskutiert wurde auf dem Panel auch, welche Aktien man sich leisten sollte. Dr. Götz Albert, CIO von Lupus Alpha, warb pro domo, aber auch mit guten markttechnischen und fundamentalen Argumenten, für Small Caps: „Europäische Small Caps haben Large Caps über zwei Jahre um 25 Prozent underperformt und sind mit einem KGV von zehn so günstig wie seit zehn Jahren nicht mehr.“
Am meisten Mut zum Risiko zeigte in der Alten Oper aber Tilly Franklin, CEO und CIO, Cambridge Investment Management. Die Chefin des Anlageteams der englischen Universität startete ihre Präsentation mit drei sehr beeindruckenden Zahlen: Sie investiert nämlich vier Milliarden Pfund für eine 1208 gegründete Institution, die bereits 121 Nobelpreise einheimste. Eindruck machten auch die Performance- und Quotenziele. Pro Jahr will man in Cambridge fünf Prozent plus Inflation erwirtschaften. Für diese Challenge braucht es in der Allokation viel Equity und einen langen Atem. „Wir haben einen sehr langfristigen Investmenthorizont“, erklärt die dabei auch mit den Gründungsdatum der Universität kokettierende Tilly Franklin. „Darum wollen wir die Asset-Klasse, die die höchsten Returns abliefert, also Private Equity, vergrößern.“ Geplant ist ein Ausbau auf etwa 30 Prozent. Mitte 2019 kam das Beteiligungsportfolio auf „lediglich“ etwas mehr als zehn Prozent. Ebenfalls ausbauen will Franklin Absolute Return und Credits. Dagegen will man Aktien von etwa 60 auf 40 Prozent trimmen. Wichtig sind für Franklin Manager-Auswahl und Nachhaltigkeit. Bei der Selektion der Anlagespezialisten achtet man in Cambridge beispielsweise auf eine „unique insight“ in eine Asset-Klasse, auf einen disziplinierten und konsistenten Anlageprozess, ausreichende Ressourcen, ein Alignment of Interest und ein höchstmögliches Maß an Integrität. Bei den Private-Equity-GPs gibt es für den Anlageprozess noch eine weitere Anforderung: Dieser soll Werte schaffen – und zwar nicht durch Leverage. „Der FK-Einsatz unserer Manager ist nur halb so groß wie der Branchendurchschnitt.“ Zu ESG sagt Franklin: „Für uns gehen die finanzielle und die ökologische Nachhaltigkeit eines Unternehmens Hand in Hand. Darum machen wir mit unseren Asset Managern Engagements bei unseren Portfoliounternehmen, damit diese beispielsweise Emissionen reduzieren und einen Transition-Pfad etablieren.“
Gut geplant ist halb gewonnen und langfristig sollten sich höhere Risiken auch auszahlen. Dies gilt insbesondere jetzt, wo sich die Preise für Anleihen, Aktien und Real Assets verbilligt haben. Leichter fallen Asset-Shopping-Touren bei ausreichender Liquidität – egal ob im Spielwarenladen oder auf dem Kapitalmarkt.
Autoren: Patrick EiseleSchlagworte: Alternative Anlagen | Asset Management | Corporates | Fixed Income | Private Equity | Versorgungswerke
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