Streit der bAV-Gelehrten
Eine Studie hatte kürzlich die Branche entzweit, weil die bAV schlechter abschnitt als die Privatrente. Fachleute haben ihre Kritik weiter konkretisiert, auch an der Politik, die den Rahmen nachschärfen muss. Was Ampel-Politiker dazu meinen.
Betriebsrenten gelten allgemein als sinnvolle Zusatzvorsorge für das Alter. Bei der Entgeltumwandlung muss man jedoch schon länger genauer hinschauen, seit die Niedrigzinsen die Renditen versicherungsförmiger Lösungen verhageln. Dennoch überraschte Ende vergangenen Jahres eine DIA-Studie mit dem Ergebnis, dass im Vergleich von Entgeltumwandlung per Direktversicherung, Riester-Rente, Basisrente und privater Rentenversicherung bei gleichem Nettoeinkommen nach der Einzahlung in den Vertrag die private Rentenversicherung vorn liegt (siehe Ausgabe 12/2021).
Allerdings waren die Ausgangsdaten des Vergleichs umstritten. So wurden bei der Direktversicherung und der Riester-Rente drei Prozent Renditeerwartung für einen Vertrag mit 100 Prozent Beitragsgarantie unterstellt, während für Basis- und Privatrente sechs Prozent für fondsgebundene Produkte ohne jegliche Garantie angenommen wurden. Folglich hagelte es Kritik am Ergebnis der Studie. „Die Prämissen an sich sind irrig“, sagt Steuerberater Thomas Dommermuth, Professor an der Ostbayerischen Technischen Hochschule Amberg-Weiden und Beirat des Instituts für Vorsorge und Finanzplanung (IVFP). „Dies ist der berühmte Vergleich von Äpfeln mit Birnen, der sich in den angenommenen Wertentwicklungen beziehungsweise Verzinsungen der jeweiligen Produkte ausdrückt“, so Dommermuth. „Für einen belastbaren Vergleich hätten entweder in beiden Schichten weitgehend identische Garantieprodukte gewählt werden müssen oder weitgehend identische garantiefreie Produkte“, sagt auch Fabian von Löbbecke, Vorstand der HDI Lebensversicherung. Für ihn ist die bAV weiterhin der „Königsweg für effiziente Vorsorge und sichere Lösungen“.
DIA übt Systemkritik und plädiert für Neustart
Auf diese Kritik haben das DIA und die Studienpartner in der Dezember-Ausgabe ausführlich reagiert. Es gehe nicht darum, Garantieprodukte mit Garantieprodukten zu vergleichen, weil das im aktuellen Marktumfeld witzlos sei. Wichtiger wäre zu überlegen, mit welchem Produkt der investierte Beitrag die höchste Nettorendite erreicht. „Es geht vor allem darum, das bestehende System zu vereinfachen“, gibt DIA-Sprecher Klaus Morgenstern der neuen Regierung mit auf den Weg. „Die vier unterschiedlichen Arten der Förderung und deren unterschiedliche Belastung mit Abgaben im Alter machen es durchschnittlichen Altersvorsorge-Sparern unmöglich, im Vorfeld abzuschätzen, welche Form der Altersvorsorge die effizienteste ist“, so Morgenstern. „Das System sollte konsolidiert und völlig neu geordnet werden.“
Dem dürfte niemand widersprechen, mutmaßte der Autor des Dezember-Artikels und zog damit selbst Kritik auf sich. „Ich widerspreche vehement“, meldet sich Professor Dommermuth erneut zu Wort. Die Haltung des DIA sei nicht wissenschaftlich fundiert, die Aussagen könnten daher „nicht so stehen bleiben, bloß weil es das DIA sagt“. Natürlich sei die bAV bürokratisch und komplex und sollte daher weiter reformiert werden, fordert Dommermuth seit Jahren. „Aber das muss sauber und systematisch beanstandet werden und nicht mit einem Vergleich, der in sich nicht stimmig ist“, erhärtet er seine Kritik. Man könne nur identische Risikoklassen miteinander vergleichen. „Will der Kunde eine solche Klasse, die die bAV nicht bietet, muss er sich gegen die bAV entscheiden, die dadurch aber nicht schlechter wird“, meint Dommermuth.
Wie das System sinnvoll reformiert werden könnte
Unterm Strich bleibt aber die berechtigte Forderung, das System der Altersvorsorge in Deutschland zu konsolidieren und völlig neu zu ordnen. Das dürfte ein steiniger Weg werden. Im Koalitionsvertrag der Ampel-Parteien ist dazu nur wenig zu lesen. Die bAV wolle man stärken, unter anderem durch die Erlaubnis von Anlagemöglichkeiten mit höheren Renditen. Zusätzlich müsse das Sozialpartnermodell (SPM) nun umgesetzt werden. Die Politik liebäugelt mit einem öffentlich verantworteten Fonds samt Opt-out-Möglichkeit in der dritten Schicht, für dessen Umsetzungsweg man sich die Arbeitgeber vorstellen kann. Das rief schon den Protest der Aba hervor (siehe Ausgabe 01/22).
Wie unausgegoren die Vorstellungen der Politik aktuell noch sind, zeigte der virtuelle „6. Berliner bAV-Auftakt“, den Mathias Ulbrich, Professor für Arbeitsrecht an der Fakultät für Wirtschaftsrecht der Hochschule Schmalkalden, Ende Januar veranstaltet hat. Dabei zeigten sich auch zur bAV im engeren Sinne Dissonanzen bei den Ampel-Koalitionären, die Mitglieder des Bundestagsausschusses für Arbeit und Soziales entsandt hatten. Generell soll die bAV gestärkt werden, doch die Wege sind noch unterschiedlich. Beispiel SPM: „Es muss stärker umgesetzt werden, insbesondere durch Ausweitung der Tarifbindung und der betrieblichen Mitbestimmung“, sagt Volkswirtin Tanja Machalet (SPD). Auch Markus Kurth, Rentenpolitischer Sprecher von Bündnis 90/Die Grünen, will das SPM nicht auf Betriebsebene, also außerhalb von Tarifverträgen (TV) erlauben. „Es kann sich nicht jeder sein Risiko aussuchen, zumal es staatliche Förderung gibt“, so der Grünen-Politiker.
„Das SPM muss auch auf Betriebsebene erlaubt werden, um den Durchbruch zu schaffen“, ist dagegen Militärseelsorger Pascal Kober (FDP) überzeugt. Auch zum Thema Staatsfonds und damit verbundenem bAV-Obligatorium gibt es unterschiedliche Ansichten. „Um KMU ohne TV-Bindung und ohne bAV besser einzubeziehen, könnten die bei einem Staatsfonds andocken, was eine Ergänzung der bAV wäre“, glaubt Machalet. „Die bAV bleibt erst einmal freiwillig“, hält Kurth dagegen, während Kober ein Obligatorium nicht generell ausschließt, wenn dies dazu beiträgt, „die Betriebsrente einfacher und attraktiver zu machen“.
Angesichts solcher SPD-Vorstellungen lohnt sich noch einmal der Blick auf die Vorzüge der bAV. „Staatsfondsmodelle können der reinen Beitragszusage nicht das Wasser reichen, denn das Sozialpartnermodell ist mehr als eine effiziente Kapitalsammelstelle, es kann auch sichere, lebenslange Leistungen darstellen“, betont Aktuar und Aba-Vorstandschef Georg Thurnes. Hauptfinanzier seien ohnehin die Unternehmen, von denen viele bei der Entgeltumwandlung seit Jahren die ersparten Sozialabgaben an die Mitarbeiter weitergeben. „Zudem bietet die bAV eine kollektive Abfederung von Risiken auch in der Rentenbezugsphase – bei einem Staatsfonds müsste der Steuerzahler einspringen“, erinnert Aba-Geschäftsführer Klaus Stiefermann. Bei einem Staatsfonds als Umsetzungsweg die Arbeitgeber heranzuziehen, wie es die SPD überlegt, würde der bAV schweren Schaden zufügen, warnt der Geschäftsführer der bAV-Arbeitsgemeinschaft.
Altersvorsorge braucht weniger Garantien und mehr Risiko
Zur Erinnerung: bAV liegt vor, wenn dem Arbeitnehmer aus Anlass seines Arbeitsverhältnisses vom Arbeitgeber Leistungen oder Beiträge zur Absicherung mindestens eines biometrischen Risikos (Alter, Tod, Invalidität) zugesagt werden und Ansprüche auf diese Leistungen erst mit dem Eintritt des biologischen Ereignisses fällig werden (Paragraf 1 BetrAVG). Die Zusage des Arbeitgebers muss somit einem im Gesetz geregelten Versorgungszweck dienen, die Leistungspflicht nach dem Inhalt der Zusage durch ein im Gesetz genanntes biologisches Ereignis ausgelöst werden und durch die vorgesehene Leistung ein im Gesetz angesprochenes biometrisches Risiko teilweise übernommen werden (BAG-Urteil vom 16. März 2010; Az.: 3 AZR 594/09). Nicht um bAV handelt es sich nach dieser Definition bereits, wenn der Arbeitgeber oder eine Versorgungseinrichtung dem nicht bei ihm beschäftigten Ehegatten eines Arbeitnehmers eigene Versorgungsleistungen verspricht, heißt es im BMF-Schreiben „Steuerliche Förderung der betrieblichen Altersversorgung“ vom 12. August 2021. Da gibt es für Staatsfonds erst recht keine Chance zum „Andocken“.
In einer Hinsicht könnte die bAV allerdings eine Anpassung ihrer Definition vertragen. Die BZML mit 100 Prozent Beitragsgarantie lässt sich bei Rechnungszisnsen nahe null nicht mehr darstellen und beschert Arbeitnehmern keine vernünftige Rendite mehr, weil das Kapital in festverzinsliche Papiere investiert werden muss, um es zu erhalten. In einer aktuellen Studie kommt Zielke Research Consult zu dem Ergebnis, dass die bisherige Strategie seit dem Altersvorsorgegesetz 2005 gescheitert ist und gar eine Abkehr von der Förderung verrenteter Produkte mit 100 Prozent Garantie nötig sei. Vielfach sei dies in der bAV möglich, aber längst nicht überall. Altersvorsorge würde sich mehr lohnen, wenn Versicherer und Pensionskassen zusätzlich riskanter anlegen dürften. „Um eine angemessene Rendite zu erzielen, sollte die Regierung den Verrentungszwang überall aufheben“, empfiehlt Carsten Zielke. Mit der aktuellen staatlichen Förderung von reinen Verrentungen wird aber genau das verhindert. Der Staat will vermeiden, dass Bürger mit Kapitalabfindung das Geld verbrauchen und am Ende dem Staat finanziell zur Last fallen. „Das passiert doch auch mit Verrentung“, sagt Zielke. Die Produkte seien bis 65 kalkuliert. Wer zu wenig oder gar nicht spart, sei dann schon bei Bedürftigkeit auf Grundsicherung angewiesen.
Autoren: Detlef PohlSchlagworte: Betriebliche Altersversorgung (bAV) | Sozialpartnermodell
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