Stiftungen kritisieren „fragwürdigen Paradigmenwechsel“
Der Bundesverband Deutscher Stiftungen kritisiert die geplante offenbar ersatzlose Abschaffung der Pflicht zur zeitnahen Mittelverwendung im Gemeinnützigkeitsrecht. Neue Rechtsunsicherheiten und Folgen für Good Governance befürchtet.
Der Bundesverband Deutscher Stiftungen hat in einer Mitteilung zum „Steuerfort-entwicklungsgesetz“ und den darin geplanten Änderungen im Gemeinnützigkeitsrecht Stellung genommen. Während der Verband die geplanten Regelungen zu politischen Stellungnahmen mit Einschränkungen begrüßt, übt er deutliche Kritik an der im Entwurf enthaltenen offenbar ersatzlosen Abschaffung der Pflicht zur zeitnahen Mittelverwendung.
Gemeinnützige Organisationen müssen bislang ihre Mittel grundsätzlich zeitnah (das heißt in der Regel innerhalb von auf den Zufluss folgenden zwei Kalender- oder Wirtschaftsjahren, § 55 Abgabenordnung) für ihre steuerbegünstigten satzungsgemäßen Zwecke verwenden; für kleinere Körperschaften gibt es Ausnahmen. Die ersatzlose Abschaffung der Pflicht zur zeitnahen Mittelverwendung sei ein „fragwürdiger Paradigmenwechsel, der Folgewirkungen für Good Governance unberücksichtigt lässt“, kritisiert nun der Bundesverband.
Völlig überraschend
Mit der ersatzlosen Abschaffung der Pflicht zur zeitnahen Mittelverwendung gehe ein völlig überraschender Paradigmenwechsel einher, dessen möglicher Beitrag zur Bürokratieentlastung nur auf den ersten Blick trägt, kritisiert der Verband die geplante Regelung. „Der Folgewirkungen für die Governance aller gemeinnützigen Organisationen ist sich das federführende Bundesministerium der Finanzen offenbar nicht bewusst. Aus verfassungsrechtlicher Sicht gewährleisten die bestehenden Regelungen – auch, indem sie eine missbräuchliche Akkumulation von Mitteln verhindern – den Rechtfertigungszusammenhang zwischen dem staatlichen Verzicht auf Steuern und dem zivilgesellschaftlichen Beitrag zum Gemeinwohl.“
In seiner Stellungnahme des Verbandes zum Referentenentwurf zum Jahressteuergesetz 2024 führt der Bundesverband aus, welche Argumente gegen eine so weitreichende Lösung sprechen und warum der Entwurf eher dazu geeignet ist, neue Rechtsunsicherheit zu verursachen. Der Verband bemängelt in der Stellungnahme zudem den fehlenden fachlichen Austausch im Vorfeld über diese Maßnahme, wie auch den zeitlich knappen Vorlauf. Zudem sei die „Begründung des Gesetzesentwurfs für den ersatzlosen Wegfall der Pflicht zur zeitnahen Mittelverwendung defizitär. Sie trägt einen derartigen Paradigmenwechsel in ihrer
aktuellen Form nicht.“ Daher fordert der Bundesverband: „Bevor ein solcher Schritt Gesetz wird, sollte ein umfassender Fachaustausch mit den Dachverbänden und der Finanzverwaltung geführt werden, wie ihn bereits der Nationale Normenkontrollrat angeregt hat.“
In der Stellungnahme macht der Verband auch Vorschläge, zum Beispiel eine Anhebung der Freigrenze: „Aus derzeitiger Sicht könnte bereits die Anhebung der Freigrenze (in Paragraf 55 Abs. 1 Nr. 5 Satz 4 AO) von derzeit 45.000 Euro auf 100.000 Euro hilfreich sein, um für die vielen kleinen und mittelgroßen Organisationen eine Vereinfachung bei der Mittelverwendung und Rechnungslegung zu erreichen.“ Weiterhin würde auch eine Verlängerung der Mittelverwendungsfrist mehr Flexibilität bringen und den Verwendungsdruck gerade bei kleinen und mittleren Stiftungen senken.
„Bitte nicht so!“
Zur zeitnahen Mittelverwendung äußert sich Prof. Dr. Sebastian Unger, Vorstandsmitglied im Bundesverband Deutscher Stiftungen und Inhaber des Lehrstuhls für Öffentliches Recht, Wirtschafts- und Steuerecht an der Ruhr-Universität Bochum: „Gesetzgebung als Überraschungspaket: So begrüßenswert erste Schritte zur Umsetzung des Koalitionsvertrages für die Zivilgesellschaft sind, so unvermittelt und unabgestimmt kam der Vorschlag, die Pflicht zur zeitnahen Mittelverwendung abzuschaffen. Mehr Rechtssicherheit, weniger Bürokratie – grundsätzlich gern, aber bitte nicht so!“
Den Kabinettsbeschluss kommentiert Friederike v. Bünau, Generalsekretärin des Bundesverbandes Deutscher Stiftungen: „Der Regierungsentwurf erweckt leider den Eindruck, die Bundesregierung habe nach langen Monaten unergiebiger Verhandlungen nun die Flucht nach vorn angetreten: Indem die meisten strittigen Maßnahmen zur Verbesserung der Rahmenbedingungen bürgerschaftlichen Engagements und Ehrenamts nun Bundesrat und Bundestag überlassen werden, müssen wir uns fragen: Meint es diese Koalition ernst mit der Zivilgesellschaft?“ Wo ein politischer Wille sei, da sei auch ein Weg – und so appelliere der Bundesverband an die zuständigen Länderressorts, Parlamentarier und Parlamentarierinnen, bei der Ergänzung der noch ausstehenden Vorhaben im Steuerfortentwicklungsgesetz aktiv mitzuwirken.
Autoren: Daniela EnglertSchlagworte: Gemeinnützigkeit | Stiftungen
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