Rechte und Rente
Der Jahresbeginn eignet sich für einen Blick auf die Entwicklungen der Betriebsrente in Deutschland. Im Fokus stehen die aktuelle Gesetzgebung und interessante Urteile zur bAV. Entscheidende Durchbrüche für mehr bAV sind noch nicht in Sicht.
Nahezu im Gleichschritt arbeiten zwei Ministerien aktuell an Gesetzesformulierungen zur Reform der Altersvorsorge: das BMAS zu Verbesserungen bei der Betriebsrente und das BMF zur Novellierung der privaten Altersvorsorge. Dazu ist ein gemeinsamer Gesetzentwurf beider Häuser geplant, wurde auf einer Handelsblatt-Tagung im vergangenen November deutlich. Doch die Umsetzung hakt: Laut BMF-Staatsekretär Florian Toncar steht noch kein konkreter Monat für das In-Krafttreten fest, sie sei „aber zum 1. Januar 2025 wahrscheinlich“ (siehe Ausgabe 10/2023). Was die Betriebsrente betrifft, soll es laut BMAS-Staatsekretär Rolf Schmachtenberg 24 Neuerungen zur bAV mit den drei Schwerpunkten Arbeits-, Steuer- und Finanzaufsichtsrecht geben. Details sind noch weitgehend unbekannt. Allerdings wird die Betriebsrente durch Rechtsprechung und andere Gesetze dennoch weiterentwickelt. Beispiel Wachstumschancengesetz: Hier zeichnen sich mit Blick auf die bAV einige steuerliche Vergünstigungen ab. Allerdings ist das Gesetz noch immer nicht in Kraft, da der Bundesrat am 24. November den Vermittlungsausschuss angerufen hatte und bei Redaktionsschluss noch unklar war, ob der Haushalt 2024 Steuererleichterungen überhaupt hergibt.
Dennoch ist der Ansatz vernünftig, für mehr Steuergerechtigkeit zu sorgen. Dazu gehören auch zwei Punkte mit Bezug zur bAV: So sollen der Altersentlastungsbetrag in den versicherungsförmigen Durchführungswegen sowie der Versorgungsfreibetrag bei Direkt- und Unterstützungskassenzusagen pro Jahr nur noch halb so stark abschmelzen wie bisher: statt 0,8 Prozentpunkte rückwirkend ab 2023 nur noch um 0,4 Prozentpunkte. Unterm Strich würden beide Neuregelungen dazu führen, dass die genannten Freibeträge erst 2058 statt wie bisher geplant schon 2040 auf null abgeschmolzen und damit gestrichen werden.
Steuerliche Konsequenzen könnte auch ein Urteil des Finanzgerichts Münster haben. Es ging um die Frage, ob in einer Krisensituation die rückgedeckte Pensionszusage für den beherrschenden Gesellschafter-Geschäftsführer (GGF) bei vorzeitiger Ablösung zu einer verdeckten Gewinnausschüttung (vGA) führt. Das Finanzamt war der Meinung, dass dem so ist, weil der Fehlbetrag in der GmbH nicht zur Überschuldung führte und die vorzeitige Ablösung der Pensionszusage allenfalls eine „Spontanabfindung“ sei, die als vGA einzuordnen ist. Der GGF sah das anders: Die als Teil der Firmensanierung beschlossene vorzeitige Abfindung der Pensionszusage von 66.000 Euro – gezahlt aus der aufgelösten Rückdeckungsversicherung – war 11.000 Euro geringer als der bis dato aufgelaufene Anspruch auf die Pensionszusage. Zudem sei einzig die schlechte wirtschaftliche Lage der GmbH Auslöser für die Abfindung gewesen. Das Finanzgericht wertete die Abfindung nicht als vGA (Az.: 4 K 3618/18 E – nicht rechtskräftig). Begründung: Aus Sicht der Gesellschafter-Geschäftsführer hätte auch ein fremder Dritter dem Abfindungsplan zugestimmt. Zudem habe die gewählte Maßnahme der Abfindung ausgereicht, um eine Sanierung der GmbH zu realisieren. „Für die steuerliche Einordnung der Abfindung einer Pensionszusage bedeutsam ist eine klare, im Voraus getroffene, zivilrechtlich wirksame und tatsächlich durchgeführte Vereinbarung, die aufgrund der Behandlung in einer Gesellschafterversammlung anschließend zwischen den Beteiligten getroffen werden kann“, sagt Dirk Murski, Syndikusrechtsanwalt des bAV-Beraters Longial. Sofern die „Entsorgung“ der Pensionszusage dazu dient, eine drohende Insolvenzreife und wirtschaftliche Krise einer Gesellschaft zu beseitigen, reiche zur Bestimmung der Krise die drohende Zahlungsunfähigkeit aus; deren tatsächlicher Eintritt oder eine Überschuldung ist nicht notwendig. Das Finanzamt hat Revision beim Bundesfinanzhof eingelegt (Az.: VII R 17/23).
Mit einer anderen bAV-relevanten Rechtsfrage hatte sich das Bundesarbeitsgericht (BAG) zu befassen: Wann ist die betriebliche Invaliditätsrente auszuzahlen? Der Fall: Ein Arbeitnehmer bezog auf eigenen Antrag hin und mit Bescheid des Rentenversicherungsträgers vom Januar 2021 volle gesetzliche Erwerbsminderungsrente. Er legte den Bescheid seinem Arbeitgeber vor und verlangte ab Januar 2021 auch betriebliche Invaliditätsrente. Der Arbeitgeber lehnt dies ab, da die Betriebsrente laut Versorgungszusage erst bei Ausscheiden aus der Firma fällig wurde. Im konkreten Fall endete das Arbeitsverhältnis erst zum 31. März 2022. Danach zahlte die Firma die betriebliche Invaliditätsrente.
Der Arbeitnehmer wollte die Leistung allerdings schon 15 Monate früher – vergeblich. Denn auch das BAG entschied mit Urteil vom 10. Oktober 2023 gegen ihn (Az.: 3 AZR 250/22). Begründung: Ein Arbeitgeber ist befugt, die Leistung in einer Versorgungsordnung mit vorformulierten Vertragsbedingungen grundsätzlich davon abhängig zu machen, dass der Arbeitnehmer eine gesetzliche Erwerbsminderungsrente bezieht und rechtlich aus dem Arbeitsverhältnis ausgeschieden ist. Ausscheidensklauseln in Versorgungszusagen hätten jedenfalls bei betrieblichen Invaliditätsversorgungen den Sinn, sicherzustellen, dass nicht gleichzeitig Ansprüche auf Arbeitsvergütung einerseits und Ruhegeld andererseits entstehen. Die der Inhaltskontrolle unterliegende Regelung benachteiligt den Arbeitnehmer auch nicht unangemessen entgegen den Geboten von Treu und Glauben. Dies hatte das BAG in früheren Fällen auch schon anders gesehen (siehe Ausgabe 4/2022). Es bleibt daher abzuwarten, wie die jetzige Entscheidung begründet wird.
Unbefriedigend für Arbeitgeber bleibt die Regelung, wonach zur Ermittlung von Pensionsrückstellungen weiterhin ein Rechnungszinsfuß von 6,0 Prozent in der Steuerbilanz verwendet werden muss (nach Paragraf 6a EStG). Die Hoffnungen, einen realistischeren, deutlich niedrigeren Zins anzusetzen, hatte das Finanzgericht Köln geschürt, das in dieser Regelung einen Verstoß gegen Artikel 3 des Grundgesetzes sah und dem Bundesverfassungsgericht (BVerfG) zur Prüfung vorgelegt hatte (Az. 2 BvL 22/17). Nach langem Abwarten hat das BVerfG die Kölner Vorlage mit Beschluss vom 28. Juli 2023 als unzulässig abgewiesen. Sie sei nicht ausreichend begründet. „Im Kern hat das BVerfG damit nicht über die Verfassungsmäßigkeit des EStG-Rechnungszins von 6,0 Prozent für Pensionsrückstellungen geurteilt, lediglich die Beschlussvorlage des Finanzgerichts wurde als unzulässig abgewiesen“, heißt es bei Longial. Die Situation dürfte somit für Arbeitgeber, die auf Direktzusagen setzen, steuerbilanziell unbefriedigend bleiben.
Zum Abschluss noch der Hinweis auf eine gesetzliche Neuregelung, die komplexe Folgen für die grenzüberschreitende Übertragung von Pensionszusagen haben kann. Das im März 2023 in Kraft getretene „Gesetz zur Umsetzung der EU-Umwandlungs-Richtlinie und zur Änderung weiterer Gesetze“ regelt „erstmals rechtssichere grenzüberschreitende Spaltungen und Formwechsel von Kapitalgesellschaften innerhalb der EU und des EWR“ erklärt Linklaters-Partner René Döring. Nun bedarf es in der Regel der Übertragung von Pensionsverpflichtungen auf eine neue Gesellschaft – mit einem Spaltungsplan, der Angaben zu Errichtungsakt und/oder Satzung, Barabfindungsangebot, Zeitplan, Angaben zu Sicherheiten für Gläubiger und Auswirkung auf Betriebsrenten enthalten muss. Zudem sind in der Regel ein Spaltungsbericht (unter anderem mit arbeitnehmerspezifischem Abschnitt) und eine Spaltungsprüfung (Prüfung durch gerichtlich bestellten unabhängigen Prüfer mit Fokus auf Umtauschverhältnis sowie Barabfindung) nötig.
Interessant: Falls die bAV durch die grenzüberschreitende Spaltung gefährdet ist, können Anwärter/Rentner eine Sicherheitsleistung verlangen (nach Paragraf 314 Umwandlungsgesetz). „Bei Spaltung auf eine ausländische Rentnergesellschaft muss das Registergericht zwingend eine Missbrauchsprüfung vornehmen“, betont Betriebsrentenrechtsexperte Döring, nicht jedoch bei Spaltung auf deutsche Rentnergesellschaften (siehe Ausgaben 12/2022 und 3/2023). Der Wechsel des Schuldners führe nicht automatisch zu einem Wechsel des anwendbaren Rechts: Für eine deutsche Zusage bleibt das BetrAVG maßgeblich. Auch der Insolvenzschutz durch den Pensionssicherungsverein bleibe bestehen und der Gerichtsstand richte sich weiter nach deutschem Recht. Bei der Rentenanpassungsprüfung nach grenzüberschreitender Übertragung kommt es auf den HGB-Jahresabschluss an, betont Döring. Es könne jedoch zu Darlegungs- und Beweisproblemen bei einer ausländischen Gesellschaft kommen. Laut BAG ist eine nachvollziehbare Vorlage des Zahlenwerkes nötig (Az.: 3 AZR 305/16).
Autoren: Detlef PohlSchlagworte: Betriebliche Altersversorgung (bAV)
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