Awards
20. März 2024

„Nachhaltigkeit muss als Risiko- und Chancenthema verstanden werden“

Leserpreisträgerin Silke Stremlau wirbt im Interview für ökologisch-soziale Investments, setzt sich für eine Feinjustierung der Nachhaltigkeits-Regulierung ein und spricht sich für schnellere Genehmigungsverfahren bei Infrastrukturinvestments aus. Auch die Anlageverordnung stehe auf dem Prüfstand.

Frau Stremlau, zunächst einmal: Herzlichen Glückwunsch zum Vordenker-Award 2024! Was verbinden Sie mit der Auszeichnung?

Silke Stremlau: Als Vordenkerin bezeichnet zu werden ist beachtlich, doch ich sehe mich eher als Vorreiterin. Das bedeutet, dass ich seit meiner frühen Jugend, das heißt seit rund 35 Jahren für das Thema Nachhaltigkeit einstehe, kämpfe, in meiner Freizeit wie auch im Berufsleben. Und ich bekomme als Rückmeldung vieler Menschen, dass ich das Thema authentisch lebe, nicht mit erhobenem Zeigefinger auftrete. Und es jetzt auch von der institutionellen Kapitalanlage in den politischen Bereich trage.

Und was erhoffen Sie sich inmitten der aktuellen Krisen?

Wir erleben gerade zwei Welten: Wir haben Hitzerekorde und Überschwemmungen, einen Krieg in Europa, den Israel-Konflikt, ein Erstarken der rechtspopulistischen Kräfte. Und gleichzeitig erleben wir eine Nachhaltigkeitsmüdigkeit, was sicherlich auch mit der Regulierung zusammenhängt. Beide Welten erscheinen voneinander getrennt zu sein: Einerseits die Katastrophen und andererseits der ESG-Backlash. Beides zusammenzubringen, die Interdependenz deutlich zu machen und das Thema Nachhaltigkeit in die Köpfe und in die Herzen zu tragen, sehe ich weiterhin als Auftrag an mich, und da gibt mir diese Auszeichnung Rückenwind!

Sie leiten den Sustainable-Finance-Beirat der Bundesregierung und haben viel Erfahrung in der institutionellen Kapitalanlage. Was ist Ihre Botschaft an Investoren?

Weitermachen und nach Lösungen suchen! Ihrem Geld eine sozial-ökologische Wirkung geben, das ist ganz klar meine Botschaft. Sich immer wieder fragen: Ist das, was ich anlege, zukunftsfähig investiert und resilient und trägt es zur Lösung unserer gesellschaftlichen Probleme bei? Wenn ich einen dieser Punkte mit Nein beantworten muss, dann sollte ich diese Geldanlage unterlassen.
Und als Investorin oder als Treuhänderin sollte ich Regulierung als Notwendigkeit sehen, als Basics – Regulierung ist aber nicht alles. Die Regulierung hat diese Schritte nicht gemacht, damit wir Excel-Tabellen befüllen. Es geht um eine zukunfts- und wettbewerbsfähige, resiliente Wirtschaft. Und dafür können Investoren und der Finanzmarkt eine erhebliche Rolle spielen.

Investoren sind teilweise frustriert über die Brüsseler Regulatorik. Wie ordnen Sie das ein und wo könnte die Regulatorik freundlicher zu Endinvestoren sein?

Ich kann das in Teilen verstehen. Ich fand es selbst mühsam, die Offenlegungspflichten der SFDR zu erfüllen bei den Hannoverschen Kassen. Wir sahen uns schon hervorragend aufgestellt mit unserem Transparenzbericht und mussten dann verschiedene Punkte zusätzlich berichten. Als Sustainable-Finance-Beirat haben wir viele Vorschläge gemacht, wie die Regulatorik feinzuschleifen ist. Ich glaube, dass das auch geschehen muss. Aber ich möchte gleichzeitig appellieren: Das war ein Riesenumschwung, den die Regulierung hier eingeleitet hat!
Mittlerweile können Sie mit jedem Vorstand einer deutschen Bank gut über das Thema Nachhaltigkeit reden. Es ist angekommen in den Instituten. Es muss als Risikothema, aber auch als Chancenthema verstanden werden: Welche spannenden, innovativen Geschäftsmodelle tragen zu mehr Kreislaufwirtschaft, zu mehr Biodiversität oder zu weniger CO2-Emissionen bei? Von daher gehört so ein Justieren der Regulierung zu einer Veränderung dazu, die wirklich grundlegend ist. Von daher: Weitermachen, feinschleifen und sich immer wieder darauf konzentrieren, warum wir das tun. Nämlich, um unsere Lebensgrundlagen zu erhalten, damit wir auch noch in 50 oder 100 Jahren Investmentgeschäfte machen können.

Im Sustainable-Finance-Beirat wird unter Ihrer Leitung viel zur Transformation geforscht. Was waren für Sie die entscheidenden Errungenschaften der vergangenen Monate?

Ich glaube, Errungenschaften liegen vor allem darin, das Thema in die Köpfe, vor allem in die der Politik zu bringen, und deutlich zu machen, wo der Finanzmarkt entscheidend ist, damit wir diese Transformation finanzieren können. Denn zehn Prozent des Geldes, das wir für die Transformation brauchen, kommen von der öffentlichen Hand und 90 Prozent kommen von privaten Anlegerinnen und Anlegern, auch aus dem institutionellen Bereich. Wir müssen sehr genau schauen, wie wir dieses Geld an die richtigen Stellen lenken und diese Transformation finanzieren.

Die Energiewende steht aktuell vor großen Herausforderungen. Zugleich verdrängt der Krieg Russlands gegen die Ukraine den Klimawandel ein Stück weit aus der Öffentlichkeit. Welche Stellschrauben muss die Politik nutzen, um die Pariser Klimaziele noch einzuhalten?

Das sind vor allem drei Dinge: Das eine ist die Beschleunigung der Genehmigungsverfahren für Infrastrukturprojekte. Das höre ich immer wieder, gerade auch von institutionellen Investoren, die Projekte in Deutschland machen wollen, wo es aber einfach wahnsinnig lange dauert, bis zum Beispiel die Windkraftanlagen, die PV-Anlagen und der Netzausbau genehmigt sind. Natürlich sind auch Naturschutzbelange wichtig, aber es muss schneller gehen, damit wir hier vorankommen. Zweitens ist das Thema Netzausbau entscheidend. Weil wir jetzt schon im Norden viel ökologischen Strom produzieren, der aber nicht in den Süden kommt. Und drittens die Frage, wie man das Ganze für Privatanleger und Privatanlegerinnen noch attraktiver gestalten kann. Hier gibt es die Idee für einen großen Transformationsfonds, an dem sich private und institutionelle Investoren leichter beteiligen können. Außerdem müssen wir an die Anlageverordnung ran.

Die Anlageverordnung soll überarbeitet werden …?

Genau. Dafür macht sich dankenswerterweise die Arbeitsgemeinschaft für betriebliche Altersversorgung e.V. (Aba) stark, damit wir nicht immer zum 31.12. eine vollständige Bedeckung der Verpflichtungsseite haben müssen. Denn gerade für Infrastruktur-Investments braucht es, da solche Investitionen oft über 20, 30 Jahre laufen, hier mehr Flexibilität. Solche Investments passen eigentlich gut zu Pensionskassen, deren Verpflichtungsseite ebenfalls sehr langfristig ausgerichtet ist. Vielleicht kann man auch über andere Anreize sprechen, wenn man will, dass Pensionskassen und Versorgungswerke noch mehr in Infrastruktur in Deutschland investieren. Da wäre zum Beispiel auch eine geringere Eigenkapitalunterlegung für Infrastruktur-Investments denkbar.

Was steht im Sustainable-Finance-Beirat als Nächstes auf Ihrer Agenda?

Das Thema der Transformation wird uns auch in den kommenden neun Monaten definitiv beschäftigen. Wir haben drei Arbeitsstränge mit jeweils drei Arbeitsgruppen gebildet: Zur Finanzierung der Transformation, zur Kohärenz in der Sustainable-Finance-Regulierung und als dritten Arbeitsstrang internationales Engagement, in der G7 und G20. Auch zur Europawahl werden wir Input dazu liefern, was eine neue Kommission bei der Sustainable-Finance-Regulierung umsetzen sollte. Ich richte mich an Ihr Publikum, an Pensionskassen, an Versicherungen: Sie wollen die Transformation finanzieren, in deutsche Infrastruktur investieren, aber es hapert noch, sei es aus steuerlichen Gründen, sei es aus Produktgründen, sei es aufgrund der Anlageverordnung. Und dies an den entscheidenden, politischen Stellen immer wieder vorzubringen, ist auch ein Auftrag des Sustainable-Finance-Beirates.

Zur Person: Silke Stremlau ist Vorsitzende des Sustainable-Finance-Beirates der Bundesregierung. Von 2018 bis zum Sommer 2023 war sie als Vorständin Kapitalanlage, Nachhaltigkeit und Personal bei den Hannoverschen Kassen tätig. Aktuell hat Stremlau ein Senior Fellowship der Stiftung Mercator, welches es ihr ermöglicht, an der Schnittstelle zwischen Arbeit im Beirat und Forschungsfragen zu Sustainable Finance zu wirken. Schon in der vergangenen Legislaturperiode gehörte sie dem Sustainable-Finance-Beirat an.
Die studierte Sozialwissenschaftlerin mit Schwerpunkt Umweltpolitik und Bankbetriebswirtin war zuvor Generalbevollmächtigte der Bank im Bistum Essen eG. Zwischen dem Jahr 2000 und 2015 war sie für die ESG-Ratingagentur Imug tätig und hat dort den Bereich Nachhaltiges Investment aufgebaut.

Die Fragen stellte Daniela Englert.

Autoren:

Schlagworte: | | | | |

In Verbindung stehende Artikel:

Schreiben Sie einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert