Strategien
22. Oktober 2021

Kosten, Assets und ESG

Der Niedrigzins ist die schöpferische Zerstörung der alten institutionellen Kapitalanlagewelt. Im besten schumpeterschen Sinne entsteht viel Neues in der strategischen Asset-Allokation, in der ­Organisation der Kapitalanlage und auch in Risikomanagementfragen. Beschleunigt wird die Entstehung des Neuen durch ESG.

Allerdings: Ein großer Umbau erfordert auch viel Umdenken. Das Strategiepanel der Jahreskonferenz gab hierzu interessante und spannende Einblicke in die neue Anlagewelt.

Der Zinsverfall höhlt nicht nur bei Fixed Income die ­Anlagechancen aus. Vielmehr schrumpfen mit dem Verfall der Zinsen die Erträge in allen Asset-Klassen. Darum müssen die Kosten der ­Kapitalanlage in den Fokus rücken, mahnte Dr. Wolfram Gerdes in einem ­Impulsvortrag: „Die Kosten fressen einen immer größeren Teil der Erträge auf“, warnte der Vorstand der Kirchlichen Zusatzversorgungskasse Rheinland-Westfalen, KZVK. „Also braucht es mehr Kostendisziplin und eine Kostenbegrenzung.“ Was ebenfalls ­gebraucht wird: Mathematik. Diese Wissenschaft macht nämlich deutlich, dass es sich lohnt, um jeden Basispunkt zu kämpfen. „Jährliche Zusatzkosten von zehn Basispunkten auf das Vermögen, erfordern eine Beitragserhöhung von vier Prozent“, machte ­Wolfram Gerdes – unter der Annahme einer unveränderten ­Rentenhöhe – die Bedeutung einer kleinen Zinsveränderung über einen langen Zeitraum deutlich. Eine Verteuerung der Altersvorsorge ist zudem auch ein soziales Problem.

Grundsätzlich ließe sich der Kostenthematik natürlich auch durch höhere Renditen begegnen. „Ein Prozentpunkt mehr Rendite hätte einen Effekt wie eine Kostensenkung um 40 Prozent und ließe sich durch eine Erhöhung der Aktienquote um 25 Prozentpunkte ­bewerkstelligen“, so Gerdes. Praktisch wäre eine solche Erhöhung auf Grund der meist niedrigen Ausgangsbasis möglich – aber wäre das hierzulande realistisch? „Warum ist es in diesem Land so schwer, in den Vermögen den Anteil der Substanzwerte, also der wirklichen Real Assets, zu erhöhen?“, so Gerdes, der mit dieser ­Frage den Regulierer adressiert.

Dr. Wolfram Gerdes, portfolio institutionell
Dr. Wolfram Gerdes hinterfragt die Kosten der Kapitalanlage.

Doch zurück zu den Kosten und Einsparungspotenzialen. Heben lassen sich diese zunächst einmal über Fee-Verhandlungen. Eine wichtige Argumentationshilfe liegt für Gerdes im Vergleich der ­internen und externen Wertschöpfung. Zumindest bei der KZVK entstammt das (glücklicherweise existierende) Alpha jeweils etwa hälftig aus dem Tun der KZVK-Mitarbeiter und dem der mandatierten Asset Manager. Die Dortmunder Altersvorsorgeeinrichtung steuert neben SAA und TAA das Rentenportfolio und Teile des ­Immobilienportfolios selbst und hat den Rest ausgelagert. Aber: Die interne Wertschöpfung kostet im Jahr zehn Millionen Euro und die externe 20 Millionen Euro. Gerdes: „Ist unsere interne Dienstleistung so wenig wert? Hier besteht ­Verhandlungspotenzial.“ Im Markt sind bei liquiden Assets die Kosten bereits gesunken. Für die Zukunft erwartet Gerdes, „dass der steigende Druck auch in den illiquiden Assets zu einem Kostenrückgang führt“.

Asset-Manager-Kosten bestehen aber nicht nur aus deren Gebühr. „In ganz erheblichem Maße sind es auch die Transaktionskosten“, betont Gerdes. „Die Erfahrungen zeigen, dass man auf die Fees nochmal 50 Prozent in Form von Transaktionskosten ­draufschlagen muss.“ Die Transaktionsthematik habe sich zwar verbessert, nach wie vor seien in der Ausführung aber Kosten versteckt, die man nach wie vor unterschätze. „Die Qualität eines Asset Managers liegt nicht nur in seiner Anlageexpertise, sondern auch in der Aus­führung seiner Transaktionen.“

Als To-dos empfiehlt der KZVK-Vorstand, neben Verhandlungen und Kontrolle der Transaktionen, so weit wie möglich ­Komplexitäten gering zu halten. So kann zum Beispiel die Wahl von Standard-Benchmarks helfen, eher unnötige Kosten zu vermeiden. „Hat eine individuelle Benchmark einen Mehrwert für Ihre Kunden?“ Außerdem stellt die Kostenthematik natürlich auch die Aktiv-Passiv-­Frage. Grundsätzlich ist Gerdes ein Verfechter von aktivem ­Management. Aber: „Unser Markt ist voll mit aktiven Managern, die gar nicht aktiv sind“, kritisierte Gerdes, für den diesbezüglich die Zahl der Einzeltitel im Portfolio eine gute Orientierungsgröße ist. Bei Anleihen gehen Alpha-Potenziale mangels Zinsen gegen null, womit sich eine passive Umsetzung empfiehlt.

Wer seine Verhandlungsmacht vergrößert hat, ist die jüngst fusionierte Provinzial. „Der Zusammenschluss der beiden Versicher­ungsgruppen wurde natürlich nicht durch das Asset Management getrieben. Aber selbstverständlich ist unser Anspruch, nun an den Kosten zu drehen“, sagte Christian Schick, Geschäftsführer Aktien- und Rentenmanagement der Provinzial Asset Management. Mit Gerdes teilt sich Schick die Überzeugung, dass man die Transaktions­kosten überwachen muss, und die Erwartung, dass künftig auch in der illiquiden Welt die Kosten sinken. Noch seien die alternativen Manager aber in einer sehr guten Verhandlungs­position. Die Potenziale des internen Managements sieht Schick ebenfalls – diese liegen allerdings nicht primär in Kostenein­sparungen. „Nun sind wir doppelt so groß, und können somit ein breiteres Spektrum selbst umsetzen“, erklärte Schick. Konsequenterweise soll auch der Anteil der internen Assets wachsen. In der Kostenbetrachtung zahlt sich ein solcher Schritt aber nicht in den üblichen Zahlen aus. Denn, wie Wolfram Gerdes ausführte, Personalkosten sind für die Stakeholder sofort transparent. Änderungen in den externen Kosten der Vermögensverwaltung sind dagegen weniger offensichtlich.

Den Ausführungen von Wolfram Gerdes kann sich auch BVV-­Vorstand Frank Egermann anschließen. Wie Gerdes betont auch Egermann, dass Kosten künftig noch weiter an Bedeutung ­gewinnen, und dass es sinnvoll ist, die Kosten auf allen Stufen zu analysieren. „Das lohnt sich auch auf Feldern, auf denen man es gar nicht ­erwartet hätte“, so Egermann. Intern bewirtschaftet die Pensionskasse Fixed Income, und diese Direktanlagen sind im ­Vergleich zu früher nun sehr Credit-lastig. „Dieses veränderte ­Profil muss mit entsprechenden Kreditprozessen und personellen Ressourcen begleitet werden. Diese Strukturen haben wir seit ­geraumer Zeit aufgebaut“, berichtete Egermann über eine ­wichtige strategische Stoßrichtung des BVV. Besonders gefordert war das Team im vergangenen Jahr. „Die Chance, die sich im ersten Halbjahr 2020 geboten hat, haben wir genutzt und erhebliche Reallokationen vorgenommen. Wir haben knapp zwei Milliarden Euro in Corporate Bonds neu investiert“, so Egermann. Insgesamt ­kommen die BVV-Assets nach Marktwerten auf circa 35 Milliarden Euro. „Zu einem guten Portfoliomanagement gehört ­dazu, dass man auch einmal eingreift.“ Diese Transaktionen vernünftig ­umzusetzen, ­habe die Mitarbeiter aber auch „erheblich gefordert“, blickte ­Egermann zurück, und verwies auf die Berücksichtigung der Kredit­prozesse und auch darauf, dass man ­zunächst einmal auch Liquidität schaffen musste. Geholfen habe aber auch, dass man ­immer auch Risikokapital in der Hinterhand habe. So konnte man an den Wertaufholungen auch an den Aktien­märkten ­partizipieren.

Dass der Schuh bei den Kosten drückt, darüber herrschte bei den Investoren auf dem Podium große Einmütigkeit. Die Anbieterseite hat aber auch gute Argumente. Als pars pro toto verwies Thomas Kruse vom europäischen Branchenführer Amundi zunächst ­einmal (zu Recht) darauf, dass die Management Fees in der vergangenen Dekade bereits deutlich gesunken sind. Weitere Kostensenkungspotenziale liegen für den CIO von Amundi Deutschland in der ­Digitalisierung. Was jedoch weitere Fee-Reduzierungen erschwert: „Seit der Finanzkrise sind für Asset Manager die regulatorischen Kosten deutlich größer geworden.“ Am Rande der Veranstaltung verweist Kruse insbesondere auf die ESG-Regulierung, die für ­jedes Unternehmen in den (fast) unendlichen Anlageuniversen ­eine entsprechende Prüfung erfordert – ein Aspekt, bei dem die ­Investoren weit weniger gefordert sind. Positiver Effekt der Nachhaltigkeitsbemühungen bei den Unternehmen: Wenn die Engagements Früchte tragen, vergrößert sich das Anlageuniversum. ­Ansonsten passt sich Amundi an die Bedürfnisse der Kundenseite an. „Den Trend zu größeren Mandaten, die mehr Skaleneffekte ­bieten, sehen wir deutlich. Ein weiterer klarer Trend ist, Renten nicht mehr aktiv zu managen. Gefragt sind dafür Buy-and-Maintain-Ansätze und spezifischere ALM-Lösungen“, berichtete Kruse.

Zumindest in der Theorie ließe sich der Kostenproblematik natürlich – wie von Wolfram Gerdes schon angedacht – mit höheren Renditen begegnen. Dafür bräuchte es jedoch mehr Risikobereitschaft. „Die Kunden möchten die Risikobudgets, die sie uns zur Verfügung stellen, nicht unbedingt erhöhen“, erwartete Kruse. „Darum ist es unsere Aufgabe, die Risikobudgets effizienter zu nutzen.“ Umsetzen lasse sich dies durch eine breitere Diversifikation beispielsweise durch globalere Ansätze, mehr Währungsrisiken oder die Hinzunahme von Rohstoffen. Kruse: „So lassen sich ­Volatilitäten reduzieren und neue Return-Quellen erschließen.“

Wie jedoch die Investoren anmerken, ist eine Risikoerhöhung mittlerweile weniger eine Frage des Wollens. Christian Schick verweist auf Garantieziele von um die 1,8 Prozent. Hierfür zu 90 Prozent in den Rentenmarkt zu allokieren, würde aber nicht mehr das Ziel, sondern die Verfehlung der Garantien erreichen. „Mittlerweile ist man zwangsweise verpflichtet, den Ertragsgesichtspunkten mehr Gewicht zu geben“, so Schick. Die SAA der Provinzial verfolgt ­darum – wie auch andere Versicherer – zunehmend eine Barbell-Strategie. Dabei liegt das eine Gewicht auf Duration-Gesichts­punkten, um Solvency II und der Verpflichtungsseite gerecht zu werden. „Zur Ertrags-Kompensation, und um auf ein vernünftiges Gesamtportfolio zu kommen, müssen wir auf der anderen Seite des Spektrums ein größeres Gewicht auf Alternatives oder Aktien legen.“ Der Mittelbau des Portfolios, in dem man traditionell Zinsdifferenzen verfolgt, wird dafür ausgedünnt. Ausbauen wird die Provinzial die Alternatives. „Die beiden bisherigen Häuser haben bereits seit den 90er-Jahren in Private Equity investiert. Deutlich erhöhen wollen wir nun neben Private Equity auch Infrastructure Equity und Debt sowie Private Debt.“ Für die Administration hat sich die öffentlich-rechtliche Versicherung übrigens gegen Luxemburg und damit für eine Lösung im Rahmen des KAGB ­entschieden. Beim BVV fließt bereits jeder dritte Euro in Alternatives. Neben den von Schick genannten alternativen Asset-Klassen zählt der BVV zudem auch Immobilien zu den Alternatives.

Eine Zusatzversorgungskasse wie die KZVK, die zudem noch viele Jahre mehr Ein- als Auszahlungen hat, hat es regulatorisch ein­facher. Großer Vorteil im Vergleich zu einer Versicherung ist auch, dass die Versicherten nicht kündigen können. „Unser Cashflow ist viel besser prognostizierbar“, so Gerdes. Somit kann man stärker auf Return-Gesichtspunkte abzielen – muss man aber auch. Denn: „Eine kapitalgedeckte Altersvorsorge macht ohne Erträge keinen Sinn.“ In der Konsequenz ändert sich die Kapitalanlage „dramatisch im Vergleich zum Beginn meiner Berufslaufbahn“. Statt 80 Prozent Fixed Income braucht es, so Gerdes, für manche Einrichtungen zu Liquiditätszwecken perspektivisch nur noch 25 Prozent. Heute liegen die beobachteten Quoten deutlich darüber. „Für die Ertragsseite braucht es Substanzwerte. Diese müssen erhöht ­werden“, erklärte Gerdes. Damit einhergehend stellt sich die Frage nach der Sinnhaftigkeit der bisherigen Risikomesssysteme. Klassischerweise ist das Risikomanagement auf die Volatilität fixiert. „Das passt nicht mehr“, so Gerdes. „Das Risiko ist nicht die Vola am 31.12., sondern Kapital unwiederbringlich zu verlieren.“

Mehr und mehr wird auch Nachhaltigkeit Teil des Risikomanagements – aber nicht nur, weil der Regulator Druck macht. Die ­Überzeugung für die Dringlichkeit, nachhaltige Risiken zu berücksichtigen, ist stark gewachsen. „Die Politik hat entschieden, einen Teil ihrer Verantwortung auf die Finanzbranche zu übertragen“, kommentierte Christian Schick. „Das ist aber auch eine Notwendigkeit. Der Klimawandel hinterlässt Spuren, die wir nicht zuletzt als Regionalversicherer für Nordrhein-Westfalen und Rheinland-Pfalz gespürt haben.“ Eine schlüssige Umsetzung, bei der sich die beiden Bilanzseiten nicht widersprechen, ist jedoch nicht trivial und benötigt etwas Zeit, so Schick. Außerdem ist die künftig ­anstehende ESG-Regulatorik noch nicht transparent. „Wir gehen heute schon in die Richtung, die wahrscheinlich gewollt werden wird“, beschreibt Schick die kontrollierte Offensive der Versicherung(sbranche) in Sachen Nachhaltigkeit. Was jedoch schon klar ist: „ESG ist ein Teil des Investmentprozesses!“

Hier schließt sich nun der Kreis aus Kostenproblematik, In- und Outsourcing, Alternatives, Regulatorik und Nachhaltigkeit. „Das Risikomanagement ist beim BVV, auch bedingt durch regulatorische Anforderungen, heute fast so groß wie das Portfoliomanagement“, erläuterte Egermann. „Nun ist noch ESG hinzugekommen. Wir zahlen für entsprechende Lizenzen und Systeme einen ­mittleren sechsstelligen Betrag. Die Kosten für Regulatorik sind ­also ein wesentlicher Faktor.“

Offensichtlich wurde aus dem Panel, dass sich Kapitalsammel­stellen sehr stark bewegen müssen. Neue Allokationen müssen ­gefahren, neue (Risikomanagement)prozesse eingeführt, neue Mitarbeiter eingestellt werden. Sonst bleibt das schöpferische Element in der Zerstörung der alten institutionellen Kapitalanlagewelt aus.

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