Pension Management
19. September 2024

Kolumbien stärkt die Mini-Rente

In Sachen Rentensystem lohnt derzeit ein Blick ganz nach Südwesten: In Kolumbien hat die Regierung im Sommer eine Rentenreform verabschiedet. Sie soll arme Rentner stärker schützen. Dazu wird die staatliche Rentenkasse Colpensiones mit den privaten Pensionsfondsverwaltern verzahnt.

Seit mehr als zwei Jahren regiert der erste linksgerichtete Staatspräsident Gustavo Petro Kolumbien. Nun hat der Präsident Mitte Juli die von seinen Anhängern lang ersehnte Rentenreform verabschiedet. Zum 1. Juli 2025 sollen Änderungen im Rentensystem wirksam werden, die im Kern auf vier Pfeilern fußen. Es sei die „die erste große Reform, die von der Regierung des Wandels verabschiedet wurde“, sagte Präsident Petro anlässlich der erfolgten Abstimmung im kolumbianischen Kongress im Juni laut dem Nachrichtenportal Amerika21. „Wir beginnen, mit dem Neoliberalismus Schluss zu machen und einen sozialen Rechtsstaat und Frieden aufzubauen“, versicherte er. Für bestehende Renten und Anwartschaften gibt es Übergangsfristen.

Bisher besteht das kolumbianische Rentenmodell aus einem Drei-Säulen-System, das im Grundsatz seit der letzten großen Reform von 1993 besteht: Einmal existiert eine beitragsunabhängige öffentlich finanzierte Säule, den Kern bildet eine gemischt beitragsabhängige Säule, die verpflichtend ist und in dem der öffentliche Durchschnittsprämienplan (Régimen der Primera Media, RPM) mit dem privaten Solidaritätssparsystem (Régimen de Ahorro Individual con Solidaridad, RAIS) konkurriert. Die Bürger können darüber hinaus auch freiwillig und mit steuerlichen Anreizen in die Altersvorsorge einzahlen (dritte Säule).

Petros aktuelle Rentenreform geht nun von vier Säulen aus: einer sogenannten solidarischen Säule, einer semi-beitragsorientierten Säule, einer beitragsorientierten Säule sowie einer freiwilligen, privaten Altersvorsorge. Die erste Säule (Pilar Solidario) richtet sich an Personen, die zum Beispiel vorwiegend im informellen Sektor tätig sind und oftmals kaum Rentenbeiträge geleistet haben. Laut dem Nachrichtenportal Amerika21 sind das derzeit rund 56 Prozent der Bevölkerung. Zugang zu der künftigen staatlichen Mini-Rente sollen Frauen ab 60 und Männer ab 65 Jahren haben, die in extremer Armut leben und die in Form eines Berechtigungsscheins (bono) eine Mindestrente von 225.000 Pesos Colombianos (COP) erhalten sollen, was umgerechnet knapp 51 Euro entspricht. Zum Vergleich: Das aktuelle staatliche Programm „Colombia Mayor“ zahlt derzeit etwa 83.000 COP (19,35 Euro) alle zwei Monate an bedürftige Senioren aus. Viel zu wenig, angesichts auch der in Kolumbien in den vergangenen Jahren hohen Inflation, die in der Spitze im Jahr 2023 bei 11,73 Prozent lag. Bezahlt werden sollen die staatlichen Mindestrenten aus dem jährlichen nationalen Haushalt des Andenlandes. Auch gibt es Kritik an der Reform: Die Regierung habe den Schutz für den Fall der Berufsunfähigkeit und die Hinterbliebenenrenten vernachlässigt, sagen Kritiker.

Weitreichender Wandel

Was die beitragsorientierte zweite und dritte Säule angeht, so steht ein Paradigmenwechsel an, ein Wechsel von einem wettbewerbsorientierten System, indem die staatliche Rentenkasse Colpensiones mit den derzeit vier privaten Pensionsfondsverwaltern (Administradores de Fondos de Pensions, AFPs) in Konkurrenz steht, hin zu einem „komplementären System“, wie es Arbeitsministerin Gloria Inés Ramírez in verschiedenen Medieninterviews im Vorfeld der Abstimmung im Parlament erklärt hatte. Im Kern geht es darum, alle Beitragszahler im System der obligatorischen Altersvorsorge zu verpflichten, einen Teil ihres Einkommens über die staatliche Colpensiones zu verbeitragen, wobei ein Deckel von 2,3 Mindestlöhnen nach oben wirksam wird. Das heißt, dass Menschen mit einem Einkommen unter und bis zu 2,3 Mindestlöhnen (aktuell etwa 706 US-Dollar) künftig ausschließlich über den staatlichen Rentenfonds Colpensiones abgesichert werden. Alles Einkommen, was darüber hinausgeht, wird zusätzlich in einem der privaten Rentenfonds verbeitragt. Dies entspricht der dritten, ­beitragsorientierten Säule, die Pensionsanwärter betrifft, deren Einkommen ausreicht, um aus ihren obligatorischen Rentenbeiträgen derzeit eine lebenslange Rente zu erhalten. Arbeitnehmer in Kolumbien zahlen zum Beispiel derzeit 16 Prozent ihres Einkommens ins obligatorische Rentensystem ein, für Selbstständige gelten andere Sätze. Nach Angaben von Statista betrug das durchschnittliche monatliche Einkommen im 52-Millionen-Einwohnerland Kolumbien im Jahr 2022 rund 10.150 US-Dollar.

Während im privaten System derzeit 18 Millionen Pensionsanwärter verbeitragt sind, sind es bei der staatlichen Colpensiones nur etwa sechs Millionen. Ein Großteil dieser Pensionsanwärter ist aktuell jedoch inaktiv, das heißt, sie zahlen nicht regelmäßig in einen der Fonds ein. Die Zahl der Rentner ist im staatlichen System zudem deutlich höher als bei den privaten AFPs: Sie liegt nach Angaben des Arbeitsministeriums bei 1,7 Millionen, während das System der APFs derzeit nur 318.000 Rentner hat. Viele Beitragszahler in Kolumbien haben zu wenig Rente angespart oder zu unregelmäßig eingezahlt, um beim gesetzlich festgelegten Renteneintritt, der derzeit bei 62 Jahren für Männer und 57 Jahren für Frauen liegt, eine lebenslange Rente zu erhalten. Diese Personen erhalten derzeit zu Rentenbeginn eine Abfindung in ­Höhe der geleisteten Beiträge plus der Inflation. Diese Abfindungsmöglichkeit soll für die Zukunft abgeschafft werden. Gemäß der semibeitrags-orientierten zweite Säule sollen Senioren, die während der Einzahlungsphase nicht genug Beiträge angespart haben, künftig auch in den Genuss einer lebenslangen Rente kommen, auch wenn diese niedrig ausfallen dürfte. Der angesparte Betrag wird nun unabhängig von der Höhe nicht mehr in einer Summe, sondern als Leibrente an die Senioren ausgezahlt.

Dabei sind die privaten Pensionsfondsverwalter durchaus in der Lage, einem (kleinen) Teil der Bevölkerung gute Renten zu zahlen. Das zeigt ein Blick auf die erzielten Renditen. Laut einer Erhebung der OECD von 2020 betrug die reale Rendite in dem Jahr 7,2 Prozent und lag damit über dem Durchschnitt der Mitgliedsstaaten (sechs Prozent). Nach Angaben der kolumbianischen Finanzaufsicht (Superintendencia Financiera de Colombia), in einem Bericht aus dem Mai 2024, lag die erzielte nominale Rendite seit 31. Juli 1995, dem Startschuss für die privaten AFPs, und dem 31. Mai 2024 im ausgewogenen Anlagefonds (Fondo Moderado) bei durchschnittlich 14,09 Prozent, die reale Rendite bei 6,74 Prozent. Beitragszahler der vier AFPs können wählen zwischen einem konservativen, einem ausgewogenen und einem Fonds mit erhöhtem Risiko, wobei die Mehrheit im ausgewogenen Fonds investiert ist. Auf kürzere Sicht ist die Realrendite nicht mehr so berauschend, was auch an der in den vergangenen Jahren hohen Inflation liegt. Sie befindet sich aber im Durchschnitt der vergangenen fünf Jahre mit 1,29 Prozent gegenüber einer nominalen Rendite von 8,25 Prozent noch immer im positiven Bereich.

Es gibt im kolumbianischen privaten System vier Pensionsfondsverwalter, von denen Porvenir, ein ehemaliger Ableger der chilenischen AFP Provida, der größte ist. 48 Prozent der Rentner sind hier veranlagt. Über einen Zeitraum der vergangenen zehn Jahre lieferte Porvenir zudem im Vergleich mit den anderen AFP die höchste Rendite: 8,52 Prozent nominal und 2,6 Prozent real konnte der Pensionsfondsverwalter im ausgewogenen Fonds verbuchen. Das Anlagevolumen von Porvenir liegt im Fondo Moderado bei derzeit umgerechnet etwa 25,9 Milliarden Euro (114 Billionen COP). Darauf folgt Protección mit etwa 19 Milliarden Euro. Colfondos (Habitat-Gruppe aus Chile) hat demnach hier einen Anteil von umgerechnet circa 6,6 Milliarden Euro. Die kleinste ist Skandia Colombia (ehemals Old Mutual) mit etwa 2,7 Milliarden Euro. Darüber hinaus sichern die AFPs auch die Arbeitslosenvorsorge ab. Nicht mitgezählt sind die konservative und die Strategie mit höherem Risiko. Hinzu kommt ebenfalls noch die Summe freiwillig geleisteter Beiträge zur Altersvorsorge. Dem Branchenverband Asofondos zufolge liegen derzeit 437,2 Billionen COP (umgerechnet insgesamt 95,5 Milliarden Euro) im System der obligatorischen Altersvorsorge.

Verwaltungskosten sind gesunken

Blickt man auf die Asset Allocation, so haben die kolumbianischen Pensionsfondsverwalter im Schnitt einen deutlichen Bias auf inländische Anlagen. Der Anteil von Investitionen im Ausland liegt in Kolumbien dennoch bei insgesamt 54,21 Prozent (4,44 Prozent festverzinsliche Anlagen und 49,77 Prozent Aktien), und damit im lateinamerikanischen Vergleich an der Spitze vor Chile, Peru und Costa Rica. Interessant erscheint auch ein Blick auf die Entwicklung der Verwaltungskosten der AFPs. Nach Angaben des internationalen AFP-Verbands Fiap beträgt die durchschnittliche Verwaltungsgebühr im System der obligatorischen Rente im Durchschnitt 0,71 Prozent für 2022 und ist bis Ende 2023 auf 0,57 Prozent gesunken. Zum Vergleich: Im Jahr 2010 zahlten Beitragszahler im Schnitt noch 1,53 Prozent ihrer Beiträge als Verwaltungsgebühren an die Pensionsfondsverwalter.

Angesichts deutscher Debatten um die private Altersvorsorge mag man meinen, die privaten Pensionsfondsanbieter in Kolumbien müssten sich durch die Reform im Nachteil fühlen. Liberale könnten den Wechsel im System als Fanal interpretieren. Dennoch zeigen sich die privaten Anbieter in Kolumbien keinesfalls erbost über die neuen Regeln. Man sei zufrieden mit der Reform, wie eine Geschäftsführerin von Porvenir im Interview mit dem Medium „Más Colombia“ auf Youtube betont. Die privaten Pensionsfondsverwalter erhielten durch die Reform an anderer Stelle die Möglichkeit, neue Geschäftsfelder zu erschließen, wie zum Beispiel am Markt als Treuhänder aufzutreten, so die Porvenir-Sprecherin.

Autoren:

Schlagworte: |

In Verbindung stehende Artikel:

Schreiben Sie einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert