„Jedes Versorgungswerk soll etwas Eigenes entwickeln“
Die Versorgungswerke in Nordrhein-Westfalen können seit zwei Jahren eine separate Infrastrukturquote beantragen. Wie es dazu kam, erläutert Ministerialrat Ulf Steenken im Gespräch. Er ist frischgebackener Gewinner des Vordenker-Awards von portfolio institutionell.
Herzlichen Glückwunsch, Herr Dr. Steenken! Von fünf Kandidaten, die zur Wahl standen, haben Sie in diesem Jahr unseren Vordenker-Award gewonnen. Wie sehr überrascht es Sie, mit 62 Prozent der Leserstimmen die absolute Mehrheit erreicht zu haben?
Das war eine tolle Überraschung für mich und mein Team. Wir haben uns sehr über die Auszeichnung gefreut. Insgesamt arbeiten fünf Personen hier im Referat III B 4 der Versicherungsaufsicht im Ministerium der Finanzen des Landes Nordrhein-Westfalen. Es ist eine klasse Auszeichnung für uns.
Ein Grund für das Votum unserer Leser ist offensichtlich der Erlass, mit dem Sie den Versorgungswerken in NRW seit März 2021 die Möglichkeit einräumen, eine Infrastrukturquote in Höhe von fünf Prozent zu beantragen. Wer hat diese Quote erfunden?
Als Aufsicht ist es unser Ziel, uns proaktiv aufzustellen und flexibel auf die sich fortlaufend verändernden Rahmenbedingungen zu reagieren. Innerhalb der Anlageverordnung, die wir für anwendbar erklärt haben, gab es eine Beteiligungsquote. Uns wurde jedoch von den Versorgungswerken berichtet, dass sie dort an Grenzen stoßen. Das war auch der Grund, weshalb Risiken mehr und mehr verpackt worden sind, um weiterhin anlagekonform zu sein. Das ist aber natürlich nicht der Sinn des Ganzen.
Uns als Aufsicht ist es wichtig, dass das Risiko einer Anlage im Vordergrund steht und nicht ihre Verpackung. Vor diesem Hintergrund haben wir Überlegungen angestellt, die Beteiligungsquote innerhalb der Risikokapitalquote aufzuheben. Anschließend haben wir eine Konsultation durchgeführt, in deren Folge uns zahlreiche Stellungnahmen erreicht haben. Und aus dem Kreis der Versorgungswerke kam der Vorschlag auf, eine Infrastrukturquote einzuführen.
Wie ging es dann weiter?
Wir haben den Vorschlag aufgegriffen und erste Überlegungen zu einer möglichen Infrastrukturquote angestellt. Den Gedanken haben wir schrittweise weiterentwickelt und schließlich um das Thema Nachhaltigkeit ergänzt. Anschließend haben wir uns mit den Versorgungswerken zusammengesetzt und unsere Ziele erläutert, Infrastruktur und Nachhaltigkeit miteinander zu verknüpfen.
Wie war die Resonanz?
Sehr positiv. Ich denke, das ist immer so, wenn man eine Quotenerweiterung vorschlägt. Daraufhin haben wir den Entwurf konsultiert. Auch hier gab es erneut wertvolle Stellungnahmen aus der Praxis. Und auf deren Basis haben wir schließlich im März 2021 die finale Version des Erlasses zur Einführung einer Infrastrukturquote an die Versorgungswerke erstellt.
Welche regulatorischen Weichen mussten dafür gestellt werden? Und wo kommt die Nachhaltigkeit hier ins Spiel?
Zunächst ist es so, dass wir die Anlageverordnung in der für die Versorgungswerke relevanten Versicherungsaufsichtsverordnung für anwendbar erklärt haben. In der Verordnung ist geregelt, dass wir Abweichungen zulassen können. Und auf Basis dieser Möglichkeit haben wir uns dazu entschlossen, etwas Neues zu testen. Versorgungswerke, die die Infrastrukturquote beantragen, müssen sich dazu verpflichten, eine Nachhaltigkeitsstrategie zu erstellen und jährlich bei uns einen Nachhaltigkeitsbericht einzureichen.
Die Infrastrukturquote ist also ein Gemeinschaftswerk, bei dem sowohl Ihr Referat aber auch die Versorgungswerke involviert gewesen sind. Wie viele von ihnen haben die Quote inzwischen beantragt?
Mittlerweile haben alle Versorgungswerke die Infrastrukturquote beantragt. Und wir haben sämtliche Anträge genehmigt. 13 von 15 nutzen die Quote aktiv.
Damit kann man sicher sehr zufrieden sein. Oder wie sehen Sie das?
Ich denke, wir haben den Bedarf identifiziert. Und ich bin der Meinung, es gehört in die Zeit, dass man Dinge ausprobiert und sich ein Bild davon macht, ob man den Bedarf der Versorgungswerke trifft. Das scheint ja hier der Fall zu sein, wie die Resonanz zeigt.
Sie beaufsichtigen 14 berufsständische Versorgungswerke sowie das Versorgungswerk der Mitglieder der Landtage Nordrhein-Westfalen, Brandenburg und Baden-Württemberg. Wie kam es zu diesem interessanten Sonderfall?
Der Landtag in Nordrhein-Westfalen hatte im Jahr 2005 als erstes deutsches Landesparlament einen Systemwechsel bei der Abgeordnetenversorgung vollzogen. Die Parlamentarier haben damals nach einem neuen Weg für die Abgeordnetenversorgung gesucht. Und die Volksvertreter haben sich für ein Versorgungswerk entschieden. Mittlerweile sind auch Brandenburg und Baden-Württemberg dabei. Es ist positiv, dass auch Abgeordnete die Idee der Versorgungswerke für sich angenommen haben.
Erstreckt sich Ihre Infrastrukturquote also auch auf Kapitalanlagen für die Landtagsabgeordneten in Brandenburg und Baden-Württemberg?
Ja, für sie gilt die Quote ebenfalls.
Herr Dr. Steenken, Sie leiten auch den Arbeitskreis der Versicherungsaufsichtsbehörden der Länder. Werben Sie bei Ihren Kollegen aus den anderen Bundesländern für die Infrastrukturquote?
Mein Team und ich haben in diesem Kreis unser Konzept vorgestellt. Und wir haben erfahren, dass auch andere Länder die Einführung einer Infrastrukturquote oder andere Lösungen prüfen. Teilweise war es aber auch so, dass von den Versorgungswerken nicht immer ein entsprechender Bedarf angemeldet wurde.
Woran liegt das?
Die Regulierung ist von Land zu Land unterschiedlich. Das erklärt, weshalb nicht überall gleichermaßen Bedarf besteht. Grundsätzlich sind wir aber auf positive Resonanz gestoßen. Hinzu kommt, dass es nicht in jedem Land ein Versorgungswerk für jeden denkbaren Berufsstand gibt. Dem Versorgungswerk der Wirtschaftsprüfer und der vereidigten Buchprüfer im Lande Nordrhein-Westfalen beispielsweise haben sich per Staatsvertrag alle Länder bis auf das Saarland angeschlossen.
Anderen Versorgungswerken unter unserer Aufsicht haben sich einzelne Länder per Staatsvertrag angeschlossen. Zum Beispiel sind die Mitglieder der Steuerberaterkammer Thüringen Mitglieder des Versorgungswerks der Steuerberater im Land Nordrhein-Westfalen.
Wie haben sich die Kapitalanlagen der berufsständischen Versorgungswerke, die Sie beaufsichtigen, in den vergangenen Jahren verändert?
Aktien und Immobilien nehmen heute in den Portfolien einen großen Anteil ein. Von Bedeutung sind nun aber auch alternative Investments wie Private Equity und Private Debt. Infrastruktur war in dem Sinne ja auch keine neue Anlageklasse. Wir haben gesehen, dass viele Versorgungswerke in Infrastrukturprojekte in Deutschland, aber auch im Ausland investiert hatten. Insofern ist das natürlich nichts, was erst durch uns entstanden ist.
Zumal die Anlageverordnung seit 2015 ihren Anwender die Möglichkeit gibt, in Infrastruktur zu investieren. Der damals neue Paragraf 2 Absatz 1 Nr. 4c ermöglichte den Erwerb von Darlehen an Infrastrukturgesellschaften.
Wir haben allerdings festgestellt, dass der neue Paragraf so gut wie gar nicht genutzt wurde – weil er mit einer Reihe komplizierter Anforderungen verbunden ist. Deswegen haben wir nach einer anderen Lösung gesucht. Mit der Infrastrukturquote geben wir den Versorgungswerken im Prinzip einen Vertrauensvorschuss. Denn einerseits geben wir keine Definition für Infrastruktur vor. Und andererseits auch keine Regelung für die Nachhaltigkeitsstrategie.
Sondern?
Jedes Versorgungswerk soll etwas Eigenes entwickeln. Wir haben den Prozess natürlich begleitet und zum Beispiel auf die Landesstrategie verwiesen – aber auch aufgezeigt, was wir auf Bundes- und europäischer Ebene sehen. Wir haben aber darauf bestanden, dass die Versorgungswerke etwas bauen, das zu ihnen passt und womit sie sich identifizieren. Es ist ein lebendes Thema. Und wir schauen uns nun in der Bestandsaufnahme die Entwicklung an und prüfen, ob es Nachsteuerungsbedarf gibt.
Hatten Sie ein Vorbild auf Ihrem beruflichen Weg ins nordrhein-westfälische Finanzministerium in Düsseldorf, wo Sie als promovierter Jurist Versorgungswerke und damit auch deren Kapitalanlagen beaufsichtigen?
Mein Vater hat mich sehr geprägt. Er hat in leitender Funktion im öffentlichen Dienst als Amtsleiter viele E-Government-Themen schon vor mehr als 20 Jahren angeschoben und initiiert. Dieses proaktive Handeln aus innerer Überzeugung und auch gegen Widerstände hat mich sehr beeindruckt. Mein Vater ist definitiv ein Vorbild für mich. Denn er hat gezeigt, dass man als Beamter aus innerer Überzeugung aktuelle Themen proaktiv angehen kann.
Autoren: portfolio institutionellSchlagworte: „Vordenker-Award“/Leserpreis | Infrastruktur
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