Investoren sehen in der Krise auch Chancen
Jeder zweite Großanleger liegt mit seinem Portfolio in diesem Jahr mehr als zehn Prozent im Minus. Doch in der Krise gibt es auch Chancen, wie eine Investorenkonferenz zeigt.
Institutionelle Investoren erleben derzeit ein Wechselbad der Gefühle. Diesen Eindruck vermittelte die Konferenz „Investment Fokus 2023“ der Fondsgesellschaft Lupus Alpha am 3. November 2022 in Frankfurt am Main. Denn nachdem die Kurse an den Aktien- und Anleihemärkten in diesem Jahr bereits erheblich gefallen sind, fragen sich nun viele, ob das neue Jahr besser laufen wird.
Die Mehrheit (63 Prozent) der etwa 250 Besucher der Fachveranstaltung – institutionelle Anleger, die insgesamt Vermögen in Höhe von rund 460 Milliarden Euro verwalten, gehen jedenfalls davon aus, dass ihr Aktienportfolio im kommenden Jahr mehr als fünf Prozent Rendite erzielen wird. Das hat eine Ted-Umfrage während der Konferenz in der Alten Oper ergeben. Zählt man die 31 Prozent der Stimmen hinzu, die nicht ganz so optimistisch sind, aber immerhin mit einer positiven Rendite von bis zu fünf Prozent für 2023 rechnen, ist die Ausgangslage kurzfristig also durchaus gut.
Europa dürfte geschwächt aus der Krise kommen
Gleichzeitig ist die Mehrheit der Konferenzgäste (57 Prozent) davon überzeugt, dass Europa langfristig wirtschaftlich geschwächt aus der aktuellen Krise kommen werde. Zumal ein anderer Belastungsfaktor den Konferenzbesuchern im Nacken sitzt: Fast jeder zweite (44 Prozent) gab bei einer Umfrage im Saal an, im Portfolio in diesem Jahr mehr als zehn Prozent im Minus zu liegen. Vor diesem Hintergrund kam ein pragmatischer Vortrag, wie der von Richard Gröttheim, gerade zur rechten Zeit.
Gröttheim ist Vorstandschefs des im Jahr 2000 gegründeten siebten schwedischen Pensionsfonds (AP7). Demzufolge hat er die Entwicklung des Fonds von Anfang an mitbestimmt und ihn durch die Krisen der vergangenen zwei Dekaden gelotst. Inzwischen verwaltet Gröttheims 40-köpfiges Team Kapitalanlagen im Wert von etwa 83 Milliarden Euro und geht dabei äußerst effizient vor.
Mix aus Aktien- und Rentenfonds
Was viele nicht wissen: Das übergeordnete „Såfa-Fondsportfolio“ von AP7 ist eine Mischung aus einem Aktien- und einem Rentenfonds. Mehr als fünf Millionen Schweden und damit etwa die Hälfte aller infrage kommenden Sparer haben ihre sogenannte Prämienrente, die Teil der ersten Rentensäule Schwedens ist, im AP7 Såfa-Fondsportfolio angelegt, erläuterte Gröttheim.
Das ist ein großer Erfolg für den staatlichen Pensionsfonds, der im Kern ein simples und leicht nachzuahmendes Anlagekonzept verfolgt, indem er sich im sogenannten Basisportfolio an der Zusammensetzung des MSCI All Country Index orientiert. Sobald Indexanbieter MSCI Veränderungen in der Zusammensetzung vornimmt, ahmt AP7 diese automatisch nach. „Wir können auch Short gehen. Dafür haben wir externe Manager. Dafür zahlen wir auch Gebühren“, führte der Vorstandschef aus.
AP7 ist weltweit an rund 3.000 Unternehmen beteiligt. Und was die Effizienz angeht: Die Managementgebühren im Aktienfonds konnte Gröttheim binnen zehn Jahren von 50 auf spärliche fünf Basispunkte senken, im Rentenfonds liegen sie bei lediglich vier Basispunkten! Der Rendite hat das nicht geschadet. Im Gegenteil: Seit dem Start vor 22 Jahren hat AP7 besser abgeschnitten als der Durchschnitt seiner Wettbewerber, auch wenn die ersten drei Jahren infolge der Dotcom-Krise zu Beginn des Jahrtausends für den Neuling alles andere als einfach waren.
800 Fonds buhlen um Schwedens Rentensparer
AP7 steht im Wettbewerb mit rund 800 Ucits-Fonds, aus denen die Rentensparer sonst noch auswählen können. Der Pensionsfonds ist damit die staatliche Alternative zu den privaten Investmentfonds, die innerhalb des schwedischen Prämienrentensystems angeboten werden. Er verfolgt einen bemerkenswerten Lebenszyklusansatz, bei dem Unternehmensbeteiligungen in Form von börsennotierten Aktien und Private Equity eine Säule bilden. Denn der Kapitalstock der Rentensparer wird bis zum 55. Lebensjahr zu 100 Prozent in Aktien investiert. Ab diesem Lebensabschnitt wird das Aktienrisiko automatisch schrittweise abgesenkt, aber nie auf null reduziert. Ab dem 75. Lebensjahr beträgt der Anteil des Aktienfonds schließlich noch 33 Prozent.
„Uns war es beim Bau des Produkts sehr wichtig, etwas zu konstruieren, das sich an der finanzakademischen Erfahrung orientiert“, so Gröttheim. Hierbei gehe es immer um die Abwägung zwischen einer vernünftigen Rente und einer niedrigen Volatilität in der Kapitalanlage. Der AP7-Chef ließ keinen Zweifel daran, dass man als Rentensparer auch größere Kursschwankungen in Kauf nehmen müsse, wenn man eine vernünftige Rente erwartet.
ESG hat hohen Stellenwert
In seinem Vortrag wies der AP7-Chef wiederholt darauf hin, dass sein Pensionsfonds ein langfristig ausgerichteter institutioneller Anleger sei. „Mit unseren Investments müssen wir Rücksicht auf zukünftige Generationen nehmen“, sagte Gröttheim und hob hervor, dass ESG-Ziele innerhalb der Kapitalanlage einen hohen Stellwert einnehmen. „Wir wollen nachhaltig investieren, dabei aber auch eine hohe Anlageperformance erzielen und somit gute Pensionszahlungen ermöglichen.“
Natürlich ging Gröttheim auch auf die aktuelle Lage auf den Finanzmärkten ein. „Wenn Sie darüber nachdenken, jetzt Aktien zu verkaufen: Dafür ist es zu spät!“, sagte er mit einem Augenzwinkern an sein Publikum in Frankfurt gerichtet. „Wenn Sie jedoch der Meinung sind, dass Ihr Portfolio zu konzentriert ist, dann sollten Sie global investieren, um Risiken zu kompensieren.“
Das Interesse an Anleihen kehrt zurück
AP7-Chef Gröttheim zeigte sich überzeugt davon, dass Aktien auch in Zukunft langfristig gut performen werden. Und es seien gute Nachrichten, dass die Zinsen nun wieder steigen und man zu normalen Zinsniveaus zurückkehre. Der schwedische Anlageprofi schnitt damit ein Thema an, dass auch deutsche Investoren mit Interesse beobachten, zum Beispiel Melanie Kümmel, Vorstandsvorsitzende der seit Januar 2020 am Markt tätigen TK Pensionsfonds AG. Bei der Techniker Krankenkasse, der größten Krankenkasse in Deutschland, ist Kümmel seit über 20 Jahren für die Kapitalanlage verantwortlich. Mit ihrem kleinen Team managt sie in Hamburg mehrere Anlagetöpfe.
In einer Gesprächsrunde, an der auch Dr. Christian Rouette vom Henkel Family Office, Dr. Martin Lück (Blackrock) und Alexander Raviol (Lupus Alpha) teilnahmen, sagte sie: „Wenn wir auf unseren Pensionsfonds blicken, dann ist dieser sehr global diversifiziert und bildet nahezu alle Anlageklassen ab.“ Gleichwohl konstatierte die Expertin, „dass wir ein negatives Vorzeichen haben“. Kaum ein Anleger könne sich aus dieser Lage in diesem Jahr befreien.
Angesichts guter Anlageentscheidungen zeigte sich Kümmel dennoch zufrieden. „Wir haben im Dezember 2021 beschlossen, unsere Aktienquote zu reduzieren“, sagte sie und nahm die Gäste der Konferenz mit in ihren Maschinenraum: „Vor etwa anderthalb Jahren haben wir eine Zinssicherung vorgenommen. Insgesamt waren wir in der Duration deutlich kürzer – das gilt für alle Anlagetöpfe.“ Dadurch waren die Einschnitte in diesem Jahr bei den Hanseaten offenbar nicht ganz so gravierend, wie bei anderen Investoren. Konkrete Zahlen, an denen sich die Aussagen verifizieren lassen, präsentierte Kümmel aber nicht.
Immobilienpläne liegen auf Eis
Ursprünglich wollte das Team von Melanie Kümmel in diesem Jahr den eigenen Immobilienbestand aufstocken. Doch man habe die Entscheidung getroffen, den Aufbau der Immobilienquote zu stoppen. Man wolle abwarten, wie sich die Situation an den Märkten entwickelt.
Für den TK Pensionsfonds ist das ein Rückschlag, schließlich befindet sich der im Jahr 2020 gestartete Fonds in der Aufbauphase. Auch eine für 2022 geplante ALM-Studie haben sie bei der Techniker Krankenkasse auf Anfang 2023 verschoben. Kümmel ließ jedoch anklingen, dass im Portfolio künftig wieder mehr Anleihen enthalten sein werden. Beispielhaft verwies sie auf den Investment-Grade-Bereich, der nun wieder über vier Prozent Rendite böte. „Da waren wir in den letzten zehn Jahren nicht. Da lagen wir eher zwischen null und zwei Prozent.“
Licht und Schatten bei den Henkels
Dr. Christian Rouette, Geschäftsführer im Family Office der Henkels in Düsseldorf, einer der zehn reichsten Familien in der Bundesrepublik, interessiert sich bevorzugt für Aktien. Gleichwohl stuft er das Family Office der gleichnamigen Unternehmerfamilie als globalen Investor ein, also ebenso wie Melanie Kümmel und Richard Gröttheim: „2022 haben wir mit Blick auf den Stilmix zwischen Value und Growth den beginnenden Trend des Value-Themas implementiert“, hob Rouette einen Teil der Aktivitäten in der jüngeren Vergangenheit hervor.
Man habe „einen Tilt in Richtung Wachstumstrends und qualitätsorientierte Unternehmen. Und zwar sowohl im Public- wie auch im Private-Markets-Bereich“. Gleichwohl habe man sich „der allgemeinen Marktentwicklung nicht entziehen können“, sagte Rouette, ohne Zahlen zu nennen. Nur so viel: „Es gibt Licht und Schatten.“
In den vergangenen Monaten sei man gut gefahren mit dem Fokus auf Private Markets, Infrastruktur und Erneuerbare Energien. „Hiermit unterstützen wir Greenfield-Investitionen. Das hat in der aktuellen Phase nicht nur den Effekt eines Environmental-Impact-Investments, sondern eine Unabhängigkeit von globalen Energieströmen. Das sind mehrere Investments, die sehr gut funktionieren“, so Rouette, der vor seiner Zeit im Family Office der Waschmitteldynastie Henkel beim Versorger Eon tätig gewesen ist.
Mahnende Worte zum Abschluss
Die Diskutanten um Melanie Kümmel und Dr. Rouette kamen auf den Vortrag von AP7-Chef Gröttholm und seine Aussage zu sprechen, dass es jetzt zu spät sei, Aktien zu verkaufen. Während Kümmel nun eher die Chance sieht, die Quote aufzubauen, ist Rouette in dieser Hinsicht eher zögerlich: „Die Bewertungsniveaus sind optisch runtergekommen, aber wir sehen noch nicht genau, was in den Unternehmensbilanzen passieren wird.“ Solange man die dramatischen Effekte einer erhöhten Inflation und erhöhter Inputfaktoren sowie erhöhter Zinsen strukturell nicht in den Bilanzen verarbeitet sehe, sei es schwer zu sagen, ob der richtige Zeitpunkt für Verkäufe oder Käufe gekommen sei.
Autoren: Tobias BürgerSchlagworte: Alternative Anlagen | Betriebliche Altersversorgung (bAV)
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