Ganz schön antizyklisch
Jakob Carlsson ist kein Deutscher, sondern Schwede. Darum wird er nicht so absahnen wie Peer Steinbrück, kann dafür aber gut schlafen. Die Briten fangen derweil an, ihre ultrahohen Aktienquoten der Vergangenheit schon wieder zu vermissen. Und Bob Litterman? Der macht in Klimawandel.
Nehmen wir an, Jakob Carlsson sei Deutscher und dazu noch verantwortlich für die Milliarden von Euro eines deutschen institutionellen Anlegers. Er könnte unsterblich werden – als einer der dringend gesuchten sogenannten Contrarian Investors, also den wenigen Menschen, die genau das Gegenteil von dem machen, was ihre deutschen Kollegen laut der jüngsten Investorenstudien von Union und Universal-Investment im Schnitt in ihren Portefeuilles derzeit so treiben: den Immobilien- und Infrastrukturanteil erhöhen, den Bondanteil deutlich zurückfahren und einen schönen Puffer am Geldmarkt anzulegen, frei nach dem Motto „Cash ist das wahre Gold“.
Und in diesen unsicheren Zeiten, in denen das Zwischenmenschliche ganz wichtig ist und Gleichgesinnte ihre fast identischen Probleme am liebsten mit Gleichgesinnten besprechen („geteiltes Leid ist halbes Leid“) und infolgedessen auch immer noch ordentlich Geld für Fachkonferenzen ausgegeben wird, würde unser Jakob als Starredner auf diesen Konferenzen mit Vorträgen über antizyklisches Investieren richtig absahnen, auch wenn er nicht annähernd an Peer Steinbrücks sensationelle 1,25 Millionen Euro herankäme. Denn auch wenn es keiner wirklich kann: Antizyklisch ist und bleibt sexy. Auch wenn man nur darüber redet.
Freilich, Jakob Carlsson wird vermutlich nicht absahnen. Denn in Wirklichkeit ist er kein Deutscher, sondern Schwede, und außerdem als CFO verantwortlich für die zwölf Milliarden Euro (128 Milliarden schwedische Kronen) des Zungenbrechers „Länsförsäkringar Liv“, eines Stockholmer Lebens- und Rentenversicherers. Seine jüngste Aktion in seinem Portfolio ist knapp beschrieben: Aktien runter, Immobilien runter und vor allem: Bonds rauf – also exakt das Gegenteil von dem, was seine deutschen Artverwandten derzeit tun. Diese haben laut der Untersuchung von Union Investment unter 100 institutionellen Teilnehmern nämlich ihre Bondquoten im Schnitt von 74 auf 46 Prozent heruntergefahren. Carlssons Quoten lauten ganz anders: 91 Prozent Fixed Income, vier Prozent Aktien, zwei Prozent Immobilien, drei Prozent alternative Investments und nichts am Geldmarkt. Das ist aus deutscher Sicht zwar fast schon antizyklisch, aber eben nicht sexy. Carlsson stört es nicht: Eine Nettorendite in Höhe von fast fünf Prozent in den ersten neun Monaten dieses Jahres lässt ihn gemütlich schlafen. Ob die deutschen Kollegen das mit Geldmarktanlagen ebenfalls können?
_Die Briten debattieren mal wieder
Antizyklisch auf viel herkömmlichere Weise sind Überlegungen, die man in Britannia derzeit so anstellt. Kaum beziffert Mercer den Rückgang der Aktienquoten der rund 10.000 Pensionsfonds im Schnitt auf fünf Prozent im Jahr 2011, schon fangen die debattierfreudigen Söhne Albions wieder an zu diskutieren. „Did pension equity divestment go too far?“, lässt das Magazin „aiCIO“ den Chef der britischen Aktuarsvereinigung und ehemaligen Aviva-Mann, Philip Scott, laut nachdenken und ihn die Frage auch gleich beantworten: „Yes, I think so. And it might be time to go back into stocks.”
Der Sex-Appeal seiner Aussage wird noch gesteigert, wenn man einen Blick auf das große Ganze wirft: Britische Pensionsfonds halten im Schnitt immerhin noch 43 Prozent Aktien, behauptet jedenfalls die gerade veröffentlichte europäische Asset-Allocation-Umfrage von Mercer. In good old Germany müsste man dagegen lange suchen, um eine Institution zu finden, die derartige Aktienquoten vorweisen kann (Anm. d. Redaktion: Wir bitten um sachdienliche Hinweise auf solche Organisationen!). Zum Vergleich: Die Dänen kommen in derselben Umfrage auf eine Aktienquote von im Schnitt 20 Prozent, die Holländer auf 24 Prozent. Deren jeweils größten Einheiten, die formstarke dänische ATP (80 Milliarden Euro oder 600 Milliarden Kronen) und die derzeit verzweifelt mit ihrem Minimum-Deckungsgrad kämpfende holländische ABP (274 Milliarden Euro), nennen Aktienquoten von derzeit 15 und knapp 30 Prozent. Noch einen Schnaps mehr können übrigens offenbar die Australier vertragen: Der gerade erst veröffentlichte „Melbourne Mercer Global Pension Index“ (http://www.mercer.com/articles/global-pension-index), den die weltweite Pensionsszene jeden Oktober heiß ersehnt, bescheinigt den Aussies mit die höchsten Aktienquoten aller OECD-Staaten: satte 45 Prozent! Nur die Amerikaner und die Finnen haben – basierend auf Angaben von Mitte 2011 – noch etwas mehr.
Eine naheliegende Frage bleibt allerdings offen: Sind hohe Aktienquoten erstens typisch für erfolgreiche Pensionsfonds und zweitens für erfolgreiche Pensionsfondssysteme? Auch wenn diese Fragen endlich einmal praxisnaher Stoff für akademische Arbeiten sein sollten, wollen wir an dieser Stelle zumindest mitraten, zumindest bei der zweiten Frage. Halten wir fest: Laut der eingängigen Notenskala des Mercer Global Pension Index wird Dänemark als einziges Land mit „A“ benotet. Das heißt: „A first class and robust retirement income system that delivers good benefits, is sustainable and has a high level of integrity.“ Holland und Australien bekommen die Note „B+“: „A system that has a sound structure, with many good features, but has some areas for improvement that differentiates it from an A-grade system.“ Etwas schlechter („B“) bewertet werden Schweden, die Schweiz und Kanada (Aktienquote deutlich über 30 Prozent). Auf „C+“ kommen Chile (mit einem Aktienanteil von über 40 Prozent) und Großbritannien. Deutschland (Aktienquote: rund fünf Prozent) wird, zusammen mit den USA, mit „C“ benotet: „A system that has some good features, but also has major risks and/or shortcomings that should be addressed. Without these improvements, its efficacy and/or long-term sustainability can be questioned.“
Hier nun unser Tipp: In die Spitzengruppe der Pensionsfondssysteme schaffen es grundsätzlich nur Länder mit zweistelligen Aktienquoten. Wo man sich mit weniger begnügt, kann man zwar auch recht erfolgreich sein; man schafft es aber nicht bis ganz nach oben. Und: Ins Mittelfeld kann jeder kommen – egal ob mit sehr hohen oder sehr niedrigen Aktienquoten. Beste Beispiele sind Großbritannien und die USA einerseits sowie Deutschland andererseits.
Die Antwort auf die erste Frage ist schwerer zu beantworten. Nicht nur, weil es schlichtweg viel mehr Untersuchungsobjekte gibt, sondern auch, weil sie zudem auch ganz andere Kriterien für Erfolg anwendet. Lassen wir Philip Scott dennoch noch einmal zu Wort kommen: „We used to think equities yielded less than gilts – that reversed some time ago.“ Fragt sich dann nur, weshalb die Briten schon immer sehr hohe Aktienquoten hatten. Antizyklik sieht anders aus.
_Future Fund scheitert am Klimawandel
Genau ein Drittel. So hoch ist per Ende Oktober der Anteil von gelisteten Aktien am Gesamtportfolio beim öffentlichen australischen Pensionsfonds „Future Fund“, der nie so ganz aus den Schlagzeilen der australischen Tageszeitungen herauskommt. Der jüngste Stein des öffentlichen Anstoßes ist nicht mehr die enttäuschende jährliche Rendite (vergleiche portfolio Weltspiegel August 2012), denn die ist – gemessen ab Anfang Mai 2006, als der Zukunftsfonds gestartet worden war – seit August um satte 100 Basispunkte auf 5,2 Prozent gestiegen. Damit liegt der Fonds zwar immer noch unter seiner Benchmark, fünf Prozent plus Inflationsausgleich. Für Aufregung sorgt aber nunmehr die offen wie dumm zur Schau gestellte Unlust der Mannen um Future-Fund-Chef Mark Burgess, „Klimawandel“ als Thema für den Fonds zu entdecken. Eine entsprechende Anfrage des sogenannten Asset Owners Disclosure Projects (AODP) wurde mit dem Verweis auf „resource constraints“ recht derbe abgeschmettert. Das weckt Erinnerungen an Burgess’ Vorgänger, David Murray, der sich in Australien in harter Arbeit den Ruf als „climate denier“ erworben hatte. Natürlich steppt bei der AODP jetzt das Känguruh. Zum AODP zählen auch Prominente, die man dort wirklich nicht erwarten würde. Zum Beispiel kein geringerer als Bob Litterman, der Goldman-Sachs- und GTAA-Veteran sowie Co-Erfinder des Black-Litterman-Modells. Der macht jetzt in Klimawandel. Antizyklischer geht es kaum.
Autoren: Maik RodewaldIn Verbindung stehende Artikel:
Schreiben Sie einen Kommentar