Jahreskonferenz
25. August 2023

Die Suche nach der richtigen Dosierung

Anleger können über das Jahr 2022 viel sagen – eines aber nicht: dass es langweilig war. Parallel nach unten laufende Aktien- und Anleihekurse, die fast schon nicht mehr für möglich gehaltene Wiederkehr der Inflation oder, dass die Performance eines großen Aktienindex von einem halben Dutzend Aktien bestimmt wird, waren so nicht erwartet worden. Solche Überraschungen schaffen auch Unsicherheit über die weitere Entwicklung der Kapitalmärkte. Grund genug, um auf der Jahreskonferenz von Investoren, Asset Managern und Ökonomen das Big Picture malen zu lassen.

Vorgezeichnet wird das große Bild der Finanzmärkte von den ­Zentralbanken. Diesen ist die ungeteilte Aufmerksamkeit der ­Kapitalmarktteilnehmer gewiss. Trotzdem hapert es oft am Verständnis, um deren Aussagen zu deuten. Grund genug für Dr. Peter Bofinger, Professor für Volkswirtschaftslehre an der Universität Würzburg, in seinem Vortrag nicht nur ökonomische Klassiker wie die „monumentale Zinsanhebung“ der EZB und die wohl ­bevorstehende „harte Landung“ zu erörtern, sondern auch die ­Semiotik von deren Präsidentin. So hat Christine Lagarde beispielsweise bezüglich ihrer Entscheidungsfindung auf einen „data ­depending approach“ verwiesen.

Mitunter sollen die Schluss­folgerungen der EZB sogar highly data-depending sein. Dies kann man als Ökonom wie Bofinger im Vortrag „Die Dosis macht das Gift: Wird die Geldpolitik der EZB zu restriktiv?“ damit ­bespötteln, ob in einer Zentralbank Entscheidungen auch data independent ­getroffen werden. Als Investor kommen einem hier eher zwei ­andere Gedanken: die data deficiency bezüglich ESG und, was die richtige Dosis für Aktien und Anleihen in der Zukunft ist. Gerade letztere Frage nahm großen Raum auf dem Strategiepanel ein.

„Inklusive der Private Markets fahren wir ungefähr eine 60:40-­Gewichtung. Unser Risikomodell erlaubt es uns, relativ viel Volatilität in Kauf nehmen zu können und möglichst prozyklisches Handeln zu vermeiden“, erklärte Patrick Busch vom Kenfo auf der von Sissi Hajtmanek und dem Autor dieser Zeilen moderierten Session. Erläuternd fügte der Head of Asset Allocation and Sustainability der Stiftung hinzu: „Unsere passive Duration beträgt über 40 Jahre und darum steuern wir das Portfolio auf eine Zielrendite mit einem langfristigen Horizont.“ Aus Kapitalmarktsicht ist für Busch auch die Inflation auf lange Sicht ein Argument pro Aktien, wenngleich sich kurzfristig in Hochinflationsphasen ­Verwerfungen ergeben könnten.

Noch ­etwas mehr Risiko kann sich Airbus Pen­sion Trust im neuen Pensionsplan leisten. „In diesem fahren wir sogar eine 70:30-Strategie“, erklärte Marcus ­Wilhelm, Vice ­President Cor­porate ­Pensions. „Wir gehen davon aus, dass sich langfristig – und als Altersvorsorgeeinrichtung haben wir einen Zeithorizont von 30, 40 Jahren – eine hohe Aktienquote ­auszahlen sollte.“

Risiko gesucht, 60:40-Modell gefunden

Allerdings waren Aktien und Anleihen im vergangenen Jahr hochkorreliert und bescherten, egal in welchem Mischungsverhältnis, Anlegern bekanntlich herbe Verluste. Davon, nun die Strategie ­umzuwerfen, ist der Atomfonds jedoch weit entfernt. „Zur Idee der langfristigen Vereinnahmung von Risikoprämien zählt eben auch, Kurs halten zu können“, so Patrick Busch. Zudem ­beinhalte die Strategiemodellierung eine Mean-Reversion-Komponente.

Da der Kenfo, dessen Aufgabe die Finanzierung der ­kerntechnischen ­Entsorgung ist, erst 2017 gegründet wurde und sich somit alter­native Anlagen noch im Aufbau befinden, kam die Stiftung noch nicht in den Genuss der Bewertungsstabilität ­illiquider Assets. Dies hat für Busch aber auch einen Vorteil ­bezüglich kommender Commitments: „Ich habe die Hoffnung, dass wir von künftig besseren Preisen profitieren.“ Die Zielquote für ­Alternatives beläuft sich beim Kenfo auf 30 Prozent.

2022: schlecht für die Rendite, gut für das ALM

Auch für Airbus war das vergangene Jahr trotz der Aktien- und ­Anleihemärkte ­alles andere als ein annus horribilis. Zum einen bewährten sich die alternativen Asset-Klassen. Vor allem aber war für Wilhelms Team die Entwicklung der Verpflichtungsseite sehr erfreulich. „Unter ALM-Gesichtspunkten hatten wir eines der besten Jahre überhaupt“, erklärte Marcus Wilhelm. „Unsere ­Pensionsverpflichtungen haben sich dramatisch verringert – und das hat die Verluste auf der Vermögensseite überkompensiert. ­Unser Funding-Status erlebte die größte Verbesserung jemals.“

Diskussion zum besten Anlagerezept: Marcus Wilhelm (v. l. n. r.), Dr. Ulrich Kaffarnik und Jim Caron debattieren die bekömmlichste und nahrhafteste Mischung von Aktien und Anleihen sowie Variationen von Alternatives.

Um diese Verbesserung im ALM nicht wieder mit einem mög­lichen Zinsrückgang zu verlieren, hat Airbus das Portfolio nun etwas defensiver ausgerichtet, indem das Liability-Matching-Port­folio vergrößert sowie Fixed Income mit längerer Duration zu ­Lasten von Aktien aufgestockt wurden. Insgesamt positiv sieht Marcus Wilhelm auch alternative Anlagen. „Man muss aber die ­Liquidität im Auge behalten. Wie wichtig ­Liquidität auch für ­Pensionsvehikel ist, haben wir vor kurzem in Großbritannien gesehen“, so Wilhelm. „Der Airbus Pension Trust kann sich eine gewisse illiquide Quote leisten. Aber gerade Pläne mit relativ viel Rentnern müssen bezüglich illiquiden Assets vorsichtiger ­agieren.“

Mit der Rückkehr der Zinsen wird gemeinhin von einer ­Renaissance von Mischfonds-Konzepten ausgegangen. Nun können Anleihe­kupons wieder etwas Puffer für die Volatilität von Aktien bieten. Für Jim Caron, Portfoliomanager und Chief Investment Officer für Global Balanced Risk Control bei Morgan Stanley, sind jedoch die Renditen der vergangenen Dekaden keine Garantie für die ­Zukunft. In dieser erwartet Caron nämlich höhere Korrelationen und dass ein Jahr wie 2022 kein Einzelfall bleibt. „Wir hatten 40 Jahre lang einen Big Bond Bull Market – und das dürfte nun vorbei sein. Da die Zentralbanken die Zinsen anheben, ist dies und der ­schrittweise Rückgang der Inflation nun wahrscheinlich vorbei“, so Caron. „So könnte es in diesem neuen Umfeld über einen 3-Jahres-­Zyklus zu höheren Korrelationen und über fünf bis zehn Jahre zu ­niedrigen Returns bei höherer Volatilität kommen. Das ist für Portfoliomanager eine Herausforderung – und für 60:40-Ansätze suboptimal.“

Letz­teres begründete Caron in Berlin damit, dass ­dieser Mix 40 Jahre lang von der Hausse auf den Anleihemärkten profitiert hat. In vier Dekaden wurden nur drei negative Bondjahre verzeichnet, und im bis 2022 schlechtesten Jahr, 1994, hat der Verlust auch nur etwa drei Prozent betragen. „Bonds waren also ein guter Stabilisator und Hedge für Aktienrisiken und hielten die ­Volatilität niedrig.“ Wahrscheinlich werde es in der Zukunft zwar keinen Big Bond Bear Market mehr geben, aber eine Seitwärts­bewegung, in der es öfters als früher auch negative Renditen auf Jahresbasis geben wird.

Aber was heißt dies für die Asset-Allokation? „Das 60:40-Konzept funktionierte, solange Anleiherenditen fielen. Im künftigen Markt­umfeld ist 60:40 nur noch eine Nummer, genauso wie 80:20 oder 70:30“, so Caron. Welche Nummer zum Anleger passt, hänge von dessen Risikotoleranz ab. „Wir sind der Ansicht, dass für geeignete Anleger ein dynamischer Ansatz bei der Asset-Allokation optimal ist. Dieser Ansatz soll sich in Erwartung von Ereignissen und Volatilität anpassen und seine Quoten von seinem Volatilitäts-­Target ableiten. Damit definiert die Volatilität den zu erwartenden Return.“

In einem normaleren Anleihemarkt wird übrigens noch etwas anderes unnormal, was für Anleger wiederum eine gewisse Flexibilität nicht nur in der Allokation, sondern auch im Denken erfordert. Jim Caron: „Normalerweise sollen Bonds das Aktienportfolio hedgen. In einem inflationären Umfeld wird aber das Bond-Portfolio sehr volatil. Aktien können auch in Inflationszeiten ­attraktive Renditen erzielen, so dass Aktien tatsächlich als Hedge für Anleihen dienen können.

Den Ausführungen von Caron konnte Dr. Ulrich Kaffarnik, DJE ­Kapital, allenfalls in dem Punkt zustimmen, dass man Rendite­erwartungen etwas zurückschrauben sollte. „Ich teile aber nicht die Einschätzung, dass die Korrelation ­zwischen Aktien und Anleihen künftig hoch bleibt. Darum werden Mischportfolios wie 60:40 in der Zukunft wieder gut ­funktionieren.“ Zur Begründung führte Kaffarnik an, dass die hohe Inflation, die vor allem pandemie­bedingt ist, vorübergehend sein wird und 2022 ein Ausnahmejahr war. „Das vergangene Jahr sorgt nun aber für ­eine gute Ausgangsbasis und eine gute Perspektive für Misch­portfolios“, so Kaffarnik. Ebenfalls unterstützend für Anleihen ist für Kaffarnik übrigens die inverse Zinskurve, da diese einen Wirtschaftsabschwung und ­damit auch eine Abschwächung der ­Inflation vorwegnimmt.

Dekarbonisierung und Portfoliomanagement

Künftig hilfreich wird aber für Kaffarnik auch ein großes Maß an Flexibilität sein. Ein Beispiel: der Energiesektor. „Energie war der einzige Sektor, der in 2022 wirklich gut abgeschnitten hat. Dieser läuft dieses Jahr aber wirklich schlecht.“ Oder man legt wie der Kenfo Wert auf eine ausgewogene, stabile Allokation. „Wir steuern das Portfolio möglichst sektorneutral und versuchen, über unseren Ansatz innerhalb der Sektoren die unter Nachhaltigkeitsgesichtspunkten besseren Werte auszuwählen. Der Charakter und die Funktion aller Asset-Klassen sollte immer im Wesentlichen ­erhalten bleiben“, plädierte Patrick Busch für eine ruhige Hand bei der Portfoliostrukturierung.

Ein möglicher Faktor, der in dieser Hinsicht immer wichtiger wird, ist ESG. „Der Dekarbonisierungspfad könnte starke Verzerrungen im Portfolio induzieren, wenn Portfolioziele und Entwicklungen in der Industrie zu weit auseinanderlaufen“, so Busch, der erklärend hinzufügt, dass grüne Assets dank der Inflows gut funktioniert haben, nun aber ziemlich teuer sind. Eine weitere offene Nachhaltigkeitsfrage ist für Busch die Messung beziehungsweise die Datenfrage.

Anleger sollten bei Immobilien Fuß in der Tür haben

Wieder ein höheres Gewicht nehmen beim Kenfo seit kurzem Reits ein, nachdem man hier lange untergewichtet war. „Inzwischen sind Reits auf lange Sicht wieder attraktiv gepreist“, meinte Busch. Für Real Estate ist auch Morgan Stanley optimistisch. „Nicht unbedingt für Commercial Real Estate, aber für Wohnen“, so ­Caron. Mit 2008 sei die Situation bezüglich Regulatorik, Banken, Rating­agenturen und Lohnsituation nicht vergleichbar.

Bezüglich Real Estate war sich Caron sogar mit Kaffarnik einig. „Bei Gewerbe­immobilien bin ich etwas skeptisch. Für deutsche Wohnimmo­bilienaktien, die stark abgewertet haben, sollte aber das ­Schlimmste vorbei sein. Und wenn man wie ich davon überzeugt ist, dass ­Zinsen nicht mehr stark steigen, sollte man nun einen Fuß in der Tür haben“, so Kaffarnik. Aber auch – man erinnere sich an ­Paracelsus oder Prof. Bofinger – den Einstieg in Immobilienaktien gilt es richtig zu dosieren. Denn die Dosis macht das Gift!

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