Strategien
21. Dezember 2012

Die Risikobudgetierung des Pharao

Mit seinem preisgekrönten Bestseller „Die Ökonomie von Gut und Böse“ liefert Tomáš Sedlácek basierend auf der Kultur­geschichte der Menschheit einen interessanten Zugang zur Wirtschaft, aber auch einen Einblick in das Risikomanagement. Sedlácek referierte auf den masters und gab portfolio ein Interview.

Herr Sedlácek, was sagt die Geschichte zur Zukunft der EU und des Euro?
Tomáš Sedlácek:
Dem Euro macht man Vorwürfe, die er wirklich nicht verdient. ­Stellen Sie sich einfach vor, was passiert ­wäre, wenn wir den Euro oder die Europä­ische Union nicht hätten. Ohne den Euro ­hätte uns die Krise härter getroffen, weil die Staaten dann Abwertungswettläufe gestartet hätten. Währungsabwertungen sind kein Problem, wenn nur ein Staat in Schwierigkeiten steckt. Aber wenn wie heute fast alle Staaten in Schwierigkeiten stecken, sind ­Abwertungen nicht hilfreich, weil wir uns dann gegen null bewegen und ­Handelskriege starten. Handelskriege haben unglücklicherweise die Tendenz, in neue Kriege zu münden. Die Idee der Einheitswährung ist aber, dass diese Handelskriege unmöglich oder sehr schwierig sind.
Darum würde ich sogar argumentieren, dass die Krise die europäischen Nationen enger zusammenbringt. Wir sind viel mehr bestrebt, uns gegenseitig zu helfen. Wenn Sie sich Griechenland, Irland oder auch Ungarn anschauen: In der Vergangenheit tendierten Nachbarländer dazu, Länder zu attackieren, die nahe am Bankrott standen. Heute tendieren wir dazu, diesen Ländern zu helfen. Ich denke, dass wir einige Lehren aus der Geschichte gezogen haben.
Und wenn wir diese Krise überleben, überlebt Europa alles. Aber wenn wir diese Krise nicht überleben und auseinanderfallen, dann können wir diese Entwicklung in den nächsten drei oder mehr Generationen nicht mehr rückgängig machen. Dies wäre eine gewaltige Zertrümmerung.

_Eine Exportnation sollte sich also nicht sehr über die aktuellen Probleme beschweren?
Ohne diese Probleme wäre der Euro viel stärker und für Deutschland der Export schwerer. Und im Falle einer Aufspaltung in Hart- und Weichwährungsländer würde der „harte Euro“ stark zulegen und den Export der Hartwährungsländer erschweren.

_Dann stimmen Sie Frau Merkel zu, die sagte: „Scheitert der Euro, dann scheitert Europa.“?
Ja. Es ist gut, dass es Merkel möglich erscheint, unpopuläre Maßnahmen zu ergreifen und so zu kommunizieren, dass es ihrer Popularität nicht schadet. Ein solches Phänomen findet sich in der Geschichte ­selten. Normalerweise werden diese Leute später geschätzt – aber noch nicht zu Lebzeiten.

_Viele raten derzeit zu Gold. Sie auch?
Niemand kennt die Zukunft und ­niemand kennt den künftigen Wert von Gold. Gold hat nur deshalb Wert, weil die Leute Gold einen Wert zurechnen. Einen inhärenten Wert hat Gold aber nicht. Die sicherere Strategie ist ­Diversifikation. Wenn wir die Entwicklung der ­Kapitalmärkte kennen würden, würden diese so viel Sinn wie ein Pferderennen machen, bei dem der Sieger jedem bekannt ist.

_In Ihrem Buch kritisieren Sie den Wachstumsgedanken. Aktieninvestoren brauchen aber Wachstum.
Wachstum ist immer hilfreich. Das Problem ist, wenn es kein Wachstum gibt. Es ist möglich, Wachstum für eine gewisse Zeit künstlich zu stimulieren, also viel Geld in die Wirtschaft zu pumpen. Aber künstliches Wachstum ist künstlich. Mein Beispiel: Wenn ich einen Kredit über 10.000 Euro ­bekomme, würde nur ein Dummkopf sagen, dass ich um 10.000 Euro reicher bin. Wenn die Regierung das Gleiche tut, ­indem sie sich drei Prozent des GDP als neue Schulden genehmigt, und die Wirtschaft im gleichen Jahr um drei Prozent wächst, ändert sich der Reichtum nicht, da das GDP nur in Höhe der Neuverschuldung wächst. Auf Schulden basierendes Wachstum ist nicht nachhaltig.

_Die Peripheriestaaten wuchsen sehr stark schuldenbasiert. Nun brauchen sie aber Wachstum, um die Schulden abzutragen.
Man kann Schulden auch ohne Wachstum zurückzahlen. Natürlich ist dies schwieriger. Heute hört man überall, dass ohne Wachstum ein Kollaps kommt. Es ist problematisch, dass wir ein System geschaffen ­haben, das nicht stillstehen kann, das ­kollabiert, wenn es nicht wächst. So kann es nicht weitergehen! Wir müssen fähig sein, auch einmal ein paar ­Jahre ohne Wachstum zu überleben. Man kann sogar argumentieren, dass nicht der Mangel an Wachstum all diese ­Probleme verursacht, sondern dass es zu viel Wachstum war, das durch Kredite stimuliert wurde. Diese Verschuldung war einfach maßlos. Und diese Verschuldung diktiert nun der Politik das weitere Vorgehen. Es ­findet praktisch eine Art Diebstahl unserer Freiheitsgrade statt, weil wir zuhören müssen, was die Verschuldung sagt und will.

_Schulden implizieren die Zahlung von ­Zinsen. Warum wurden und werden Zinsen oft als unethisch betrachtet?
Lesen Sie Moses, den Koran oder den ­Kodex Hammurabi. Zinsen hatten immer ­etwas Geisterhaftes. Darum wurde man aufgefordert, mit Zinsen äußerst zurückhaltend zu hantieren. Denn Zinsen sind ein selt­sames, ziemlich schwer zu kalkulierendes ­Instrument. Zinsen sind genauso nützlich, aber auch gefährlich wie ein Messer oder ­das Feuer. ­Also ist beim Gebrauch höchste Vorsicht ­geboten. Offensichtlich ist, dass wir nicht immer sehr vorsichtig gewesen sind.

_Aber Sie zitieren Jesus‘ Gleichnis von einem Mann, der einen Diener dafür tadelt, dass er das ihm anvertraute Geld vergraben hat anstatt es zu investieren oder wenigstens zur Bank zu bringen, um Zinsen zu erhalten.
Das ist ein sehr kompliziertes Gleichnis, weil der Mann als sehr gemein geschildert wird, der erntet, wo er nicht gesät hat. Aber auch hier: Ich glaube nicht, dass Zinsen als völlig falsch angesehen werden. Ich arbeite ja selbst für eine Bank, und unsere Gesellschaft ist ohne Zinsen kaum vorstellbar. Aber es muss einem klar sein, dass man mit ­einem tückischen Instrument arbeitet, das sich auch gegen einen selbst wenden kann.

_Im dritten Buch Mose ist auch zu lesen, dass alle 49 Jahre ein Erlassjahr gefeiert wird, in dem alle Schulden erlassen und verlorener Grundbesitz zurückgegeben wird. Klingt nach der Blaupause für Griechenland.
Im Vaterunser heißt es: „Vergib uns ­unsere Schuld, wie auch wir vergeben unseren Schuldigern“ – und dies geschieht nun in Griechenland. Es ist sehr interessant, dass das deutsche Wort „Schuld“ sowohl Verbindlichkeit (Debt), als auch Schuld im juristischen oder moralischen Sinn (Guilt) bedeutet. Auch auf Latein und Aramäisch werden Debt und Guilt synonym gebraucht. Griechenland ist unter der Last seiner ­finanziellen und moralischen Schulden in die Knie gegangen und braucht nun eine ­Erlösung. Sie brauchen einen Erlöser, ­jemand mit einem stärkeren Glauben.
„Glauben” leitet sich aus dem lateinischen Wort „credere” ab! Auch wenn dies spitzfindig erscheint: Es handelt sich um ­eine große religiöse Debatte, die unseren Vorvätern sehr vertraut ist.

_Von der Ökonomie des Guten zur Ökonomie des Bösen. Sie zitieren Fausts Mephisto: „Ich bin ein Teil von jener Kraft, die stets das Böse will und stets das Gute schafft“, und beschäftigten sich mit Bernard Mandeville, der mit seiner Bienenfabel erklärte, dass private Laster das Gemeinwohl unterstützen. Bedeutet dies, dass Investoren in Tabak, Alkohol und Glücksspiel investieren sollten?  
Hier geht es um die Idee der „unsicht­baren Hand“ des Marktes. Die Idee ist, dass man sich keine Sorgen darüber macht, ob man ethisch oder unethisch handelt. Man hilft der Gesellschaft wirklich, indem man egoistisch ist und nur für sich selbst sorgt.
Was in einer spezialisierten Gesellschaft auch passiert, ist, dass man oft etwas Gutes tun möchte und am Ende etwas Schlechtes bewirkt. Und es gibt Situationen, in denen man dann auch tatsächlich etwas Gutes bewirkt. Weiter kann es sein, dass verwerfliche ­Absichten am Ende sowohl etwas Schlechtes als auch etwas Gutes bewirken. Mandeville und die Ökonomen nach ihm übersahen, dass immer noch drei andere Möglichkeiten bestehen. Es ist also nicht so simpel, wie es Mandeville beschrieben hat. Adam Smith sah Mandeville übrigens ziemlich kritisch.

_Zum Risikomanagement: Sie erwähnen den Griechen Xenophon, der 400 Jahre vor Christus auf die Grenzen von Modellen hingewiesen hat. Diese Erkenntnis mussten wir erst wieder in der Praxis kennen lernen.
Diese Ironie zu beschreiben, machte mir große Freude. Wir gehen davon aus, dass ­unsere Vorfahren dumm, ungebildet und in Mythen gefangen waren. Ich versuche zu zeigen, dass diese Vorstellung für uns heute genauso gilt und wir schmerzhaft Dinge ­lernen müssen, die bereits vor über 2.000 Jahren aufgeschrieben wurden.

_Jede Generation muss also immer alles neu erlernen?
Manche Dinge haben wir gelernt, manche Dinge müssen wir wieder lernen. Wo wir uns weiterentwickelt haben, ist, dass wir ­heute in Europa keine nationalistischen Staatsoberhäupter mehr haben. Hätte es den griechischen Bankrott vor etwa 50 Jahren ­gegeben, hätte sich für die damaligen Staatsführer alles um die Frage gedreht, wie man dieses Land besetzen könnte. Dieser ­Gedanke existiert heute nicht mehr. Wir versuchen, Griechenland zu helfen.

_Als ein historisches Risikomanagement­beispiel verweisen Sie auf die sieben fetten und sieben mageren Kühe, die dem Pharao im Traum ­erschienen sind. Dieser Traum ist die Mutter aller Risikobudgetierungen.
Exakt. Man sollte ein wenig ansparen, um für schlechte Jahre gerüstet zu sein. Die Ägypter hatten diese Regel auch ohne ökonometrische Modelle oder 1.000 Ökonomen. Heute befolgen wir diese Regel aber nicht mehr. Wenn wir es nämlich täten, würden wir in guten Zeiten weniger wachsen. Wir hätten aber ein stabileres System.

_Klingt wie Taleb.
Es ist eine ähnliche Denkweise. Nämlich dass es Unsicherheiten gibt, die wir niemals kalkulieren oder in Wahrscheinlichkeiten pressen können. Und dass wir vorsichtig sein sollten. Das Eingeständnis, dass wir das System, in dem wir leben, nicht verstehen, ist ein großer Schritt vorwärts. Einen schwarzen Schwan kann man nicht erwarten.

_Hat die Offenbarung des Johannes eine Message für Asset Manager, insbesondere für MBS-Manager in der Finanzkrise? Es steht ja geschrieben, dass jemand, der die Zahl des Tieres nicht hat, nicht mehr verkaufen kann.   
Dem kann ich nicht folgen. Der Sinn der Apokalypse liegt einfach darin, dass der ­Antichrist die Macht hat, den Leuten den Markt für die wirklich lebenswichtigen ­Güter wie Wasser und Brot zu verbieten. Es geht nicht um Kapitalmärkte. Die theologische Debatte über die Nummer 666 ist groß. Mein Beitrag zu dieser ­Debatte ist, dass es gegenüber einer Zahl ­immer Misstrauen gibt. Wenn etwas zu exakt,­ rational, mechanistisch ist, kann etwas nicht stimmen. Und wenn es etwas gibt, das durch eine bloße Nummer beschrieben ­werden kann, dann muss dies ein Sinnbild für die Beschreibung des Antichristen sein.

_Ihr Debattenbeitrag ist interessant für alle Value-at-Risk-Jünger. Als Sinnbilder für ihre Thesen verweisen sie auf viele Filme und Songs. Was empfehlen Sie einem Investor?
Den Song „Living on the Edge“ von Aero­smith. Weil man sich auf einen schwarzen Schwan nicht einstellen kann. Also sollte man sich nicht zu nah am Abgrund positionieren. Wer es trotzdem tut, sollte nicht überrascht sein, dass es ihn gelegentlich trifft und er abstürzt.

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