Alternative Anlagen
27. November 2013

Die Energiewende ist eine Kapitalwende

Investoren öffnet die Energiewende neue Anlagemöglichkeiten, mittlerweile auch jenseits von Solar- und Windparks. Energieversorgungsunternehmen öffnet die Energiewende Zugang zu neuen Finanzierungspartnern. Nun liegt es an Investoren und Versorgern, sich gegenüber Kooperationen zu öffnen.

Interview mit den Energieversorgern Mainova und Rhein-Energie, dem Finanzinvestor MEAG, dem Berater ARAT und Deloitte

Was zählt eigentlich alles zu Energieinfrastruktur? Erzeugung, Netze und Speicher?
Prof. Peter Birkner:
Mit Blick auf die Energie­wende und die künftige, von volatilen regenerativen Stromquellen geprägte Energie­landschaft müssen wir das gesamte Strom-, Gas- und Wärmesystem berücksichtigen. Der Grund ist, dass das Thema Energiespeicherung nur in dieser Gesamtbetrachtung effizient gelöst werden kann. Da sich Strom nicht direkt speichern lässt, muss in andere ­Medien ausgewichen werden.
Heute wird normalerweise zur großtechnischen Energiespeicherung Wasser den Berg hochgepumpt und damit Strom in mechanische Energie umgewandelt. Diese hat aber nur eine sehr geringe Energiedichte, so dass man zum Beispiel den Bodensee um 1.000 Meter anheben müsste, um die für die Umsetzung der Energie­wende  erforderlichen ­Wochenspeicher zu realisieren und ausreichende Energiemengen zu speichern. Eine deutlich einfachere ­Variante ist „Power to Heat“, also mit Strom Fernwärme herzustellen, was in Schweden heute schon praktiziert wird. Eine noch ­größere Energiedichte ist mit „Power to Gas“, also der Herstellung von Wasserstoff oder Methan mittels Strom, möglich. Dieser ­Prozess ist vor allem auch reversibel, da aus Gas mit konventionellen Kraftwerken wieder Strom und Wärme erzeugt werden kann. Diese drei ­Verfahren – Pumpspeicheranlagen, Power to Heat und Power to Gas – ergänzt um ­Batterien sind bei Energieinfrastruktur immer parallel zu betrachten.

Wo stehen bei dieser Betrachtung die Netze?
Birkner:
Es gibt Wärme-, Gas- und Stromnetze sowie dazwischen die ­Koppelstellen: den Elektrolyseur, den Elektroheizer oder das klassische Gaskraftwerk, idealerweise in Form einer Kraft-Wärme-Kopplung. Netze sind ­damit elementarer Systembestandteil.

Zählen Batterien zur Energieinfrastruktur?
Birkner:
Batterien sind im weiteren Sinne reversible chemische Speicher. Sie eignen sich als Langzeitspeicher nur bedingt. Ein Wolkenfeld, das über einen Solarpark zieht, lässt sich gut mit einer leistungsstarken ­Batterie überbrücken, eine Woche Windflaute aber nicht mehr. Dafür ist die Energiedichte einer Batterie zu gering. Die für Erneuerbare Energien benötig­ten Speichervolumina ergeben sich nur thermisch oder chemisch. Nachteilig an ­Power to Heat ist, dass sich Wärme nicht wieder in Strom zurückverwandeln lässt und nur für das Fernwärmenetz nutzbar ist. Wasserstoff aus einer Power-to-Gas-Anlage kann mit Erdgas gemischt werden und ist ­damit reversibel, zum Beispiel in einer klassischen Kraft-Wärme-Kopplungsanlage, wieder zur Strom- und Wärmegewinnung einsetzbar. Am Ende wird es zu einem Speicher­mix kommen, wobei die einzelnen Techniken verschiene Speichertiefen, Haltbarkeiten und Umwandlungsfähigkeiten haben.    

Wie erlebt man denn als Stadtwerk die Energiewende? Welche Implikationen haben zum Beispiel Atomausstieg, zunehmende Spannungseinbrüche und Netzeingriffe? 
Stephan Boyens:
Der Atomausstieg ­betrifft Versorger wie die Rhein-Energie nicht direkt. Die zunehmenden Netzeingriffe sind eine große Veränderung – ­primär aber für die Übertragungsnetzbetreiber. Für uns als regio­nales Versorgungsunternehmen liegt in ­dieser Entwicklung eher eine Chance in der zunehmenden Nachfrage nach Regelenergie. Jemand wie wir, der über ein flexibles Gaskraftwerk verfügt, kann den Bedarf nach Sekunden- oder Minutenreserven befriedigen. 

Birkner:
Die Renewables selbst kosten nichts, erfordern aber eine ­andere und deutlich umfangreichere Infrastruktur. Brennstoffkosten werden also durch Kapitalkosten ersetzt. Die konventionellen Kraftwerke ­bestehen nach wie vor als Reserve­kraftwerke und binden Kapital, werden aber wegen den Erneuerbaren deutlich weniger ausgelastet. Zudem leiden die Betreiber unter ­niedrigeren Strompreisen. Gleichzeitig braucht es neues Geld für Windkraft- und Solaranlagen. Die Energiewende ist also eine Kapitalwende. 
Unter der Entwertung der ­ konventionellen Energie leidet auch die Mainova. Durch unsere Kraft-Wärme-Kopplungsanlagen haben wir aber eine gewisse Stabilisierung, da die Einnahmequelle „Wärme“ erst einmal kon­stant ist. Stadtwerke, die keine Kraftwerke ­besitzen und den Strom nur von der Börse kaufen und dann weiterverkaufen, sind von der Entwicklung „nur“ dadurch betroffen, dass wegen des gesunkenen Strompreises die Marge sinkt. Versorger müssen nun neue Wertschöpfungen erschließen. Dazu gehört als wesentliches Element auch die Regelenergie. Aber diese kann den allgemeinen Preisverfall im Strom auch nicht kompensieren. 

Halten sich denn eingesparte Brennstoff­- und Kapitalkosten die Waage?
Birkner:
Nach Analysen von McKinsey aber auch meinen eigenen Schätzungen übersteigen in Deutschland im Jahr 2020 die Kapitalkosten die Brennstoffkosten-Einsparungen um rund 20 Milliarden Euro pro Jahr. Zum Vergleich: Das deutsche Bruttoinlandsprodukt liegt bei etwa 2.700 Milliarden Euro. Außerdem sollte man der Energiewende auf der Habenseite noch die Entwicklung von Zukunftstechnologien und eine steigende energie­politische Unabhängigkeit ­anrechnen. Auf der anderen Seite stehen die höheren Strompreise für Unternehmen und Bürger.
Günstiger wird die Energiewende indem man möglichst viel von der vorhandenen ­Infrastruktur energiewendekonform umwidmet. In diese Richtung ­wurde und wird noch zu wenig nachgedacht. Zu einseitig wurde der Ausbau der Erneuerbaren forciert. Der Umsetzungsprozess muss besser mit den anderen Medien, Netzen und Speichern sowie den europäischen Nachbarn harmonisiert werden. Dabei darf sich die ­Politik nicht vor den Karren der verschiedenen Lobbygruppen spannen lassen, die ihre Partikularinteressen verfolgen. Es kommt auf das Gesamtbild an. Unkoordiniert verläuft aktuell auch, dass ­jedes Bundesland entweder energieautark oder Energieexporteur sein will.

Herr Birkner, Sie sagen, dass ab einem Anteil von 35 Prozent Renewables am Gesamtenergiemix die zu installierende Leistung über der Summe aus derzeit maximalem Konsum, Speicher und Export liegt. Das heißt was?
Birkner:
In der Vergangenheit entsprach die in Deutschland verfügbare ­konventionelle Kraftwerkskapazität in etwa dem Spitzenverbrauch. Heute bauen wir parallel dazu einen regenerativen Erzeugungspark auf. Extrapoliert man die vorliegenden Erzeugungszahlen, so stellt man fest, dass dann, wenn die installierte regenerative  Erzeugungsleistung ebenfalls der Spitzenleistung entspricht, über das Jahr gesehen ein Anteil von rund 35 Prozent an grünem Strom im System ist. Erzeugen nun alle diese Kraftwerke gleichzeitig Strom, so kann dieser nur noch zu Spitzenlastzeiten vollständig eingesetzt werden.
Bei Erneuerbaren Energien besteht ein gewisser Synchronismus in der Erzeugung. Alle Solarzellen produzieren mittags am meisten Strom und nachts nichts, Wind weht meist in großen Teilen Deutschlands oder eben nicht. Bis zu einem Anteil von 35 ­Prozent müssen regenerative Energiequellen daher „nur“ durch konventionelle Kraftwerke ergänzt werden, wenn sie nicht einspeisen. Dies bedeutet überschlägig eine Verdoppelung des in Kraftwerken gebundenen Kapitals bei gleichzeitiger Reduktion der Brennstoffkosten um 35 Prozent. Wenn man nun statt 35 Prozent 70 Prozent regenerativ erzeugen will, kommt man auf die Idee, die installierte regenerative ­Kapazität zu verdoppeln. Ungünstigerweise schlägt nun die Synchronität zu. Die Erzeugungseinheiten laufen größtenteils zur gleichen Zeit, und wenn sie laufen, dann entsteht Übererzeugung. Es bedarf eines Speichers, der weitere Investitionen verursacht, wobei beim reversiblen Umwandlungsprozess – Power to Gas – die Hälfte der Energie auf der Strecke bleibt. Bei einer Vervierfachung des gebundenen Kapitals erhöht sich der erneuerbare Strom damit von 35 Prozent also nur auf rund 52 Prozent und nicht auf die erhofften 70 Prozent.
Der Ausweg aus dieser Misere: eine Lastenverschiebung. Dass man also immer wenn der Wind bläst, mehr als die bisherigen 100 Prozent der Energie verbraucht, und wenn der Wind nicht bläst, unter die 100 Prozent geht.  Techniken wie Power to Heat oder ­geeignete Produktions­steuerungen der chemischen Industrie bieten hier Potenziale, und auch die Privatkunden könnten einen gewissen Beitrag leisten, wenn einmal Smart-Meter und flexible Tarife eingeführt sind.

Stadtwerke sind aber in ­einer günstigeren Position als die vier großen Atomkraftbetreiber.
David Krüger:
Eon, RWE, EnBW und Vattenfall leiden stark darunter, dass der Ausbau der Erneuerbaren Energien eher dezentral und kleinteilig erfolgt und ihre Energieerzeugungskompetenz stark bei Großkraftwerken liegt, die jetzt an Bedeutung verlieren. Aus dieser Positionierung heraus ergibt sich auch die Bedeutung von Offshore-Wind für die großen Vier. Erschwerend kommt für ­diese hinzu, dass sie zum Großteil die Last des Atomkraftausstiegs tragen müssen.
Birkner: Eindeutig sind Stadtwerke strategisch besser positioniert. Nur in der Stadt hat man Wärme, Gas und Strom parallel zur Verfügung. Wie erwähnt wird für die ­Speicherung entscheidend sein, zwischen diesen drei ­Medien hin- und herwechseln zu können.
Wenn man aber noch einen Schritt weiter­geht und an gebäudeintegrierte Solartechnik, kleine Batterien und die neu entwickelten wasserstoffproduzierenden Solarzellen denkt: Falls dieser Medienwechsel in zehn, 15 Jahren noch dezentraler stattfindet, nämlich im ­Gebäude selbst, entsteht quasi unterhalb der Stadtwerke ein neuer Erzeugungsverband. Es könnte sich etwas Ähnliches ereignen wie in den vergangenen Jahren, als die Stadtwerke mit ihrer deutlich dezentraleren Aufstellung im Vorteil gegenüber den großen Energiekon­zernen waren. In jedem Fall hat diese Technologie das Potenzial, die Rolle der Stadtwerke deutlich zu verändern.
Boyens: Diese Entwicklung ist heute schon zu erkennen. Wenn Produzent und Konsument eins sind, wird bereits vom ­„Prosumer“ gesprochen. Dies bedroht unser Geschäftsmodell als Stadtwerk. Wir könnten aber wieder ins Spiel kommen, wenn zum Beispiel der Prosumer verreist und das Stadtwerk den in seinem Mehrfamilienhaus pro­­duzierten Strom im Stadtviertel vermarkten soll. Das wäre allerdings ein sehr kleinteiliges Geschäft. Eine intelligente Anwendung ­dieser gebäudeintegrierten Solartechnik kann an der Ost- und Westseite erfolgen. Denn in ­einem Haushalt fällt meist der große Stromverbrauch morgens und abends an. Ein Nachteil von Freiflächen-Solarparks ist, dass diese mittags ihren Leistungshöhepunkt ­haben. 

Herr Krüger, was waren die wichtig­sten Ergebnisse der Deloitte-Studie zur Energiewende?
Krüger:
Bemerkenswert ist der Optimismus bezüglich der  Energiewende. Befragte aus allen Investorengruppen – ­institutionelle Investoren, Banken, Versorger – erwarten entgegen vieler Presseberichte, dass die Energiewende ein Erfolg wird und ein Anteil von 35 Prozent Erneuerbarer Energien am Energiemix im Jahr 2020 machbar ist.
Ein ganz wichtiges Ergebnis war aber auch die große Bedeutung der regulatorischen Sicherheit. Die Befragung wurde durchgeführt, als die Politik eine Strompreisbremse diskutierte. Dass der deutsche Standort im Zusammenhang mit der ­retrospektiven Solarförderung und Eingriffen in Spanien und Tschechien diskutiert wurde, hat bei ­Investoren viel Vertrauen zerstört.

Holger Kerzel: Wir reden als Investor bei Infrastruktur über Zeiträume von 20 Jahren und länger. Entscheidend für das Gelingen der Energiewende ist der politische Konsens über stabile Rahmenbedingungen, der über mindestens fünf Legislaturperioden und ­damit eventuell verbundenen Regierungswechseln trägt. Mit einem solchen nachhaltigen Konsens lassen sich Finanzinvestoren ­aktivieren. Im Wettbewerb um ­internationale Kapitalgeber ist dies entscheidend. Großbritannien sucht zum Beispiel sehr stark den Dialog mit Investoren. Das ­negative Extrembeispiel ist Spanien, wo es ständig zu Änderungen zum Nachteil der Investoren kommt.
Wer um internationale Gelder wirbt, muss stabile Rahmenbedingungen schaffen. Die Politik sollte sich bewusst sein, sich aktiv dafür entscheiden und entsprechend handeln, dass sie diese Investoren braucht und auch im Land haben möchte.
Krüger: Bis jetzt fehlt ein strategischer Masterplan für die Energiewende. Benötigt wird ein Konzept,  dass die Entwicklung ­eines ausgewogenen Energieerzeugungsmixes unterstützt, Marktverzerrungen minimiert und Fehlallokationen von Kapital vermeidet. Die Gestalter der Energiewende brauchen einen verlässlichen Rahmen für Investitionsentscheidungen, die über zehn bis 20 Jahre fallen werden. Die Uhr tickt, und das Ganze wird derzeit eher schlechter als besser.
Birkner: Finanzinvestoren sind für die Energiewende unabdingbar. Der Transformationsprozess benötigt sehr viel Geld. Eine Rechnung: Wenn die Mainova ihren ­gesamten investiven Spielraum nur dazu ­verwenden würde, um in Windparks zu investieren, dann könnten wir aus eigener Kraft in Hessen ­gerade einmal zwei bis drei Prozent der Windparks bauen, die auf dem hessischen Energie­gipfel definiert worden sind. Die Ener­giewende ist eine Kapitalwende, kluge ­Finanzierungsmodelle sind eine Grundvoraussetzung für den Umsetzungserfolg.

In Brüssel gibt es einen Energiekommissar, in Berlin aber einen Umweltminister, einen Wirtschaftsminister und einen Verkehrsminister. Wäre es für die Energiewende auch förderlich, einen Energieminister zu haben?
Boyens:
Ich halte nichts davon, für jedes Problem ein eigenes Ministerium zu bilden. Sonst hätten wir in Deutschland demnächst 20 Ministerien. Die Politik ist gefordert, sich zwischen den betroffenen Ressorts abzustimmen und vernünftige Lösungen zu finden.

Zur Energiewende gehört bei der Rhein-Energie auch das Programm „Energie und Klima 2020“. Dieses beinhaltet große Photo­voltaik-Dachanlagen und Biogasanlagen. Finanz­investoren meiden dagegen eher Biogasan­lagen, weil diese kleinteilig und komplex sind sowie zur Teller-Tank-Diskussion ­führen.
Boyens:
Wir haben in zwei Biogasanlagen investiert. Eine steht noch im Stadtgebiet. Dies ist ein großer wirtschaftlicher Vorteil, da wir die in der Stromproduktion anfallende Wärme direkt in ein Fernwärmenetz einspeisen können. Auch bei unserem zweiten Standort in Euskirchen können wir thermische Energie zur Trocknung von beispielsweise Holzhackschnitzeln nutzen.
Birkner: Die Mainova verwendet für ihre beiden Biomasseanlagen zum einen Altholz zur Strom- und Wärmegewinnung, zum ­anderen Schlachtabfälle zur Herstellung von Bioerdgas. Letztes tun wir bewusst, da wir den Konflikt zwischen der Energie- und Lebensmittelherstellung vermeiden wollen. Leider gibt es für Biogas aus Mais eine höhere Förderung als für Biogas aus Schlachtabfällen, ­obwohl ich nicht weiß, was man Sinnvolleres aus Schlachtabfällen machen könnte als Gas. Uns fällt es schwer, die Wirtschaftlichkeit unserer Biogasanlage darzustellen. Diesen Dirigismus in der Gesetzgebung müsste man zumindest in seiner Auswirkung an der ­einen oder anderen Stelle hinterfragen.

Die Mainova investiert auch in Wind- und ­Solarparks. Wie wichtig ist diese Mischung?
Birkner:
Erneuerbare Energien sind volatil und nicht steuerbar. Stochastische Einflüsse lassen sich nur durch Mischung stabilisieren, beziehungsweise Volatilität lässt sich durch Diversifizierung bei Erzeugung und Verbrauch besser beherrschen.

Diese Argumentation klingt jedem Finanzinvestor und natürlich auch der MEAG vertraut. Die MEAG hat ein ehrgeiziges Programm: Bis zu 2,5 Milliarden Euro sollen für Munich Re und Ergo in Renewables investiert werden. Jüngst wurde ein schwedischer Windpark ­gekauft. Bis zu 1,5 Milliarden Euro sind für klassische Infrastruktur dotiert. Hierzu zählen der Kauf des Erdgas-Transportnetz-Betreibers Open Grid und Amprion. Ist Diversifizierung oder Opportunität der große Leitstern?
Kerzel:
Bei den Erneuerbaren Energien haben wir bislang nur in Wind- und Solarparks investiert. Grundsätzlich ist Diversifizierung über alle denkbaren Risiken ein wichtiges Thema. Für unser Portfolio suchen wir  verschiedene Regulierungsregime, Staaten und Segmente. Angedacht ist aber auch unregulierte Infrastruktur, wie Häfen, Flughäfen oder Autobahnen.

Die Investitionen selbst  hängen letztlich vom Angebot ab, also der Opportunität. Wenn kein Flughafen zum Verkauf steht, können wir auch nicht investieren. Das ­Investment muss dann zunächst eine sinnvolle Größenordnung haben und auch zu ­unserem konservativen Risiko-Rendite-Profil als Anleger für Versicherungen passen. Baurisiken oder ausgeklügelte Finanzoptimierungen wollen wir nicht.
Das weltweit niedrige Zinsniveau forciert die Suche nach Anlagealternativen. Infrastruktur sowie Erneuerbare Energien sind wegen der tendenziell stabilen, langfristigen Cashflows für Versicherungsunternehmen gut geeignet, um ihre Zahlungsverbindlichkeiten im Kerngeschäft zu bedecken. Grundsätzlich sind neben Eigenkapital- auch Fremdkapitalinvestments interessant.

Herr Boyens, Finanzinvestoren halten die 35 Prozent für machbar. Sie auch?
Boyens:
Natürlich sind diese 35 Prozent machbar – aber zu welchem Preis? Mit Geld lassen sich zwar nicht die Gesetze der Physik außer Kraft setzen, dafür aber volkswirtschaftlich relativ unsinnige Dinge umsetzen. Als Teil eines europäischen Verbundnetzes, müssten wir uns besser mit den euro­päischen Nachbarn abstimmen. ­Unter guten euro­päischen Partnern ist die jetzige Situation bei den Übertragungsnetzen inakzeptabel.   

Die Energiewende soll dezentral gelingen.
Boyens:
Richtig. Trotzdem stießen wir ­unsere europäischen Nachbarn mit dem überhasteten und relativ konzeptionslosen Ausstieg aus der Kernkraft vor den Kopf. ­

Müsste mehr „Europa“ gedacht werden? Also wie nordeuropäischer Windstrom und südeuropäischer Solarstrom mit Pumpspeicher-Kraftwerken in Österreich vernetzt werden?
Boyens:
Ein Vorschlag der Wirtschaftsweisen sieht statt der technologiespezifischen Förderung ein Quotenmodell vor, in dem Versorger selbst schauen, wo sie eine ­bestimmte Quote an regenerativem Strom herbekommen. Dann würden Photovoltaikparks primär in Südeuropa und nicht in Brandenburg installiert.
Birkner: Es ist richtig, dass Griechenland sonniger ist als Deutschland. In einer Gesamt­­kostenbetrachtung sind aber auch die gegenläufigen Effekte einzubeziehen. So ­reduzieren die höheren griechischen Temperaturen den Wirkungsgrad der ­Solarzellen und man müsste massiv in die Energietransportkapazitäten in Richtung Nordeuropa ­investieren. Das Thema Entfernung spielt ­eine große Rolle. Nicht vergessen sollten wir auch die Aspekte der Systemstabilität und der Leitungsverluste, die hier mit hineinspielen. Elektrische Energie hat übrigens im Vergleich zu Gas ­eine geringe Energiedichte. Dies erhöht den Energietransportaufwand. 

Laut der Deloitte-Studie sind für 68 Prozent Kooperationen von Bedeutung. Verstehen sich denn Versorger und Finanzinvestoren?
Reinhard Liebing:
Im Falle von institutionellen Investoren und Versorgern treffen ­unterschiedliche Mentalitäten aufeinander. Erstere sind an stabilen Cashflows interessiert. Es fehlt aber am technischen Know-how, weshalb man gerne mit einem Lead-Investor zusammenarbeiten möchte. In unseren ­Gesprächen stellen wir fest, dass sich institutionelle Investoren auf verschiedenen ­Ebenen eine Zusammenarbeit vorstellen können. Dies kann auf Projektebene sein, im Rahmen eines Joint Ventures oder in einer hybriden Struktur erfolgen, bei der möglicherweise ein Versorger in die Rolle eines Asset­ ­Managers schlüpft. Mit solchen komplexen Strukturierungs- und Moderationsaufgaben setzen wir uns als Berater derzeit auseinander. Einige Investoren stehen unter einem großen Anlagedruck und wollen in Infrastruktur investieren. Sie haben jedoch Vorbehalte, sich diese Anlageklasse über klassische­ Investmentberater oder Asset Manager zu ­erschließen, da diesen ein „Energie-Track-­Record“ fehlt. Energieversorger kennen­ die Materie wiederum seit Jahrzehnten und ­benötigen für ihre umfangreichen Aufgaben zudem neue Finanzierungspartner. Insofern liegen Kooperationen für institutionelle ­Investoren nahe.

Und für Energieversorger?  
Liebing:
Ich stimme Herrn Birkner zu, dass Energieversorger den Finanzierungs­bedarf nicht allein stemmen können. Unter Rating-Gesichtspunkten werden daher Kooperationen für Energieversorger besonders ­attraktiv. Energieprojekte sind in der Regel zu einem hohen Grad fremdfinanziert. Daran schätzen Energieversorger derzeit aber ­gar nicht, dass hoch fremdfinanzierte Projekt­gesellschaften bei der Konsolidierung im Konzernabschluss die Fremdkapitalseite stark ausweiten. Um dies zu vermeiden, ­bieten sich Co-Investmentstrukturen an. ­Dafür gilt es zunächst eine Interessengleichheit zwischen den Beteiligten zu schaffen, was für mittelgroße Investoren nicht einfach ist. Ein anderer Katalysator für Kooperationen ist, dass bestimmte Turn-key-Projekte ­unter Rentabilitätsgesichtspunkten nicht mehr besonders attraktiv sind. Wir sehen ­bereits bei mittelgroßen Versorgungswerken die Bereitschaft, mit Projektentwicklungen stärker ins Risiko zu gehen. Der GDV hat ­zudem auch bereits eine Fünf-Prozent-Quote für Projektfinanzierungen vorgeschlagen.
Boyens: Aus Preisgründen gehen wir auch in der Wertschöpfungskette weiter nach vorne. Aus eigener Erfahrung kann ich ­sagen, dass es zur Beurteilung von Projektentwicklungsrisiken qualifiziertes Personal braucht. Wir stiegen beispielsweise bei einem Windpark-Bieterverfahren nach der technischen Due Diligence sofort aus. Die Finanzinvestoren sind weiter im Bieterkreis. ­Denen fehlt offensichtlich das technische Know-how.
Kerzel: An solchen Risiken sind wir nicht interessiert – obwohl wir von der Versicherungsseite aufgrund der großen Erfahrung unserer Gruppe Munich Re die nötigen ­Experten zur Beurteilung und Einschätzung dieser Risiken hätten. Diese Risiken sind uns als konservativer und nachhaltiger Investor einfach zu unbestimmt und daher zu groß.

Was muss zwischen Versorgern und Finanz­investoren moderiert werden?
Liebing:
Der Bedarf beginnt bereits bei der aufsichtsrechtlichen Betrachtung gemein­samer Investitionen über Eigenkapital- oder Fremdkapitalinstrumente und endet häufig beim maßgeschneiderten laufenden Repor­ting. In zahlreichen Fällen sucht man trotz einer wirtschaftlichen Eigenkapitalbeteiligung aus aufsichtsrechtlichen Gründen, wie der Anlageverordnung oder Solvency II, nach effizienten Fremdkapitalstrukturen. Hierfür gilt es, ein gegenseitiges Verständnis zu entwickeln, um darauf aufbauend auch langfristig tragfähige ­Lösungen zu kreieren. Die Aufgaben- und Rollenverteilung sowie die strategischen Leitplanken müssen aber frühzeitig für eine Zusammenarbeit festgelegt werden.
Erkennbar ist in jedem Fall, dass die ­tradierten Rollen verschwimmen. Am Ende könnte der institutionelle Investor zum Energieproduzenten „mutieren“ und der Energieversorger zum Asset Manager. Bei einer solchen Aufgabenverteilung könnte beispielsweise ein Stadtwerk im Rahmen einer strategischen Allokation festlegen, dass neben der Produktion auch in Netze oder in Koppelstellen investiert wird, um nachhaltige Cashflows von circa sechs Prozent zu erzielen.
Birkner: Eine solche Entwicklung kann ich mir gut vorstellen. Dies würde auch für die Stadtwerke einen Paradigmenwechsel ­bedeuten. Diese müssen sich noch stärker von ihrer territorialen Bezogenheit lösen und sich damit arrangieren, nur mit einem Minderheitsanteil an den Assets beteiligt zu sein, aber dennoch die eigene Expertise bezüglich Erzeugung oder (Direkt-)Vermarktung einzusetzen. Andererseits erschließen sie sich so neue Finanzierungs-, aber auch Erlösquellen. Praktisch wird dann ein Stadtwerk zum Asset Manager und zum Service Provider. Da künftig eine deutlich kleinteiligere Energieinfrastruktur zu erwarten ist, könnte die Kompetenz eines Stadtwerks auch in der Bündelung von Assets für Finanzinvestoren liegen.

Herr Krüger, wo werden am ehesten Kooperationen zwischen Finanz- und strategischen Investoren stattfinden?
Krüger:
Die Gründe für Energieinfrastruktur-Kooperationen unterscheiden sich nicht von Kooperationen in anderen Indus­triesektoren, namentlich das technische Know-how des Partners, die angemessene Verteilung des Risikos und der Finanzierungslast. Stand heute liegen diese Gegebenheiten bei Netzen am stärksten vor. Das liegt einerseits an den jetzigen Opportunitäten im Markt und den Bedürfnissen der Investoren. Institutionelle Investoren, die Kooperationen auch auf der Agenda haben, suchen in der Regel auch größere Assets, und da kommt ­eine Amprion sehr gelegen. Bei Netzen stimmt auch das Risiko-Rendite-Verhältnis. Die Präferenz, größere Summen ­Eigenkapital zu investieren, spricht auch für eine Zusammenarbeit bei Offshore-Windparks, wobei in Deutschland noch das technische Risiko hemmt. Hier stünde das Thema Asset-­Management-Kompetenz des Energieversorgers noch stärker im Vordergrund. ­Interessant könnten auch Offshore-Netze werden.
Eine Überlegung ist aber auch, ­einen Kooperationsplan zu definieren, zum Beispiel bei Onshore-Windparks, über den ein Finanz­investor sich mit einen Energieversorger bei kleineren Investments zusammenschließt, Lerneffekte entstehen, und man sich dann auch gemeinsam an größere Projekte innerhalb eines Portfolios wagt. Das Thema Energiespeicher wird für institutionelle Investoren weiterhin schwierig sein.

Wie finden denn die beiden Investoren­gruppen zusammen?
Birkner:
Am Anfang muss die Erkenntnis stehen, dass man einander braucht. Am Ende müssen Inhalte und Nasenfaktor ­stimmen. Die Partnerschaft muss ja ein paar Legislaturperioden halten. Windkraft­anlagen sind normalerweise auf mindestens 20 Jahre und Netze auf mindestens 40 Jahre ausgelegt. Dies schreckt mich nicht. Als Ingenieur bin ich es gewohnt, in Dekaden zu denken.

Wie haben sich denn die Amprion-Beteiligten gefunden?
Kerzel:
Wir haben damals Neuland betreten. Es waren Berater nötig, die uns ­darlegten, was es heißt, sich an einem Netz zu beteiligen. Das war für uns ein Lernprozess. Gleichzeitig wurde ein Investorenkonsortium mit ähnlichen Zielen gesucht – insgesamt ein komplexer und manchmal auch mühsamer Prozess, aber der bisherige Verlauf  gibt uns recht. Wir sind zufrieden, und der Aufwand hat sich gelohnt.

Wie kam man denn mit RWE auf einen Nenner? Die Gedankenwelt eines Finanzinvestors kreist ja mehr um NAVs, IRRs, Cashflows oder Durationen. Das sind aber nicht unbedingt die Kategorien, in denen eine RWE denkt.
Kerzel:
RWE war als Verkäufer in einer anderen Situation und hat die Käuferperspektive angenommen. Mit einem Viertel ist RWE weiterhin investiert – das war und ist uns wichtig, so haben wir im Energietransportgeschäft einen erfahrenen Partner an Bord. Die Zusammenarbeit verläuft reibungslos.
Liebing: Bei Amprion sind mit Versicherungen, Versorgungswerken und einer kirchlichen Zusatzversorgungskasse verschiedene Investorengruppen dabei, und diese ­haben sich auch nicht alle auf dem gleichen Weg beteiligt. Hinter der Gesamtstruktur ­liegen verschiedene EK- und FK-Unterstrukturen. Über maßgeschneiderte Verbriefungslösungen lassen sich individuelle Anforderungen an Anlageverordnung, Solvency II oder Kosten lösen.
Kerzel: Solvency II fordert im Standardmodell von Versicherungen für Infrastruktur eine Unterlegung mit Eigenkapital von 49 Prozent. Das ist das gleiche Niveau wie für deutlich riskantere Venture-Capital-Investi­tionen. Die Regulierung ist hier zu undifferenziert und zu streng mit Blick auf solide ­Infrastrukturengagements. Bei Fremdkapitalinvestitionen ist die ­Anlageverordnung fast prohibitiv. In eine Fondsanlage dürfen nur 30 Prozent beigemischt werden. In der Regel ­legen Projekt­gesellschaften Darlehen ohne Rating auf, und hier unterliegen Versicherungen insbeson­dere in der Direktanlage strengeren Anforderungen. Ohne Rating können auch an sich ­sichere Darlehen nicht in den Deckungsstock beziehungsweise das Sicherungsvermögen übernommen werden – ein entscheidender Nachteil. Es gibt noch viel zu tun, um die ­Versicherungswirtschaft für ­Investitionen in Infrastruktur zu gewinnen.

Sehen Sie auch bei der Unbundling-Richtlinie Optimierungsbedarf?
Kerzel:
Auch hier besteht Handlungs­bedarf. Diese Entflechtungsrichtlinie der EU besagt, dass man sich zwischen Energie­erzeugung und Energieverteilung entscheiden muss. Wenn wir einen Windpark mehrheitlich besitzen, sind, wir bei der Beteiligung an einem Verteilernetz stark eingeschränkt. Nur Minderheitsanteile sind möglich. Und das, ­obwohl für uns als Finanzinvestor weder in der Energie­erzeugung noch in der Energieverteilung unser Kerngeschäft liegt.

Die Unbundling-Regel gilt doch nur für Energieversorger. Oder wird die MEAG qua Investment zum Versorger erklärt?
Kerzel:
Die Entflechtungsregeln gelten für jeden. Infrastrukturfonds sagen uns, dass sie sich erst noch entscheiden müssen, ob sie Netzbetreiber oder Energieerzeuger sein ­wollen. So bekommt Deutschland den Investitionsbedarf für die Energiewende schwer gestemmt. 
Liebing: Die offenen Regulierungs­themen blockieren die deutsche Wirtschaft und deren Finanzierung enorm. Verschärft wird die ­Situation zusätzlich durch fehlende steuerrechtliche Rahmenbedingungen, wie das ­AIFMD-Steueranpassungsgesetz, auf das die Wirtschaft noch wartet. Vor diesem Hintergrund werden beispielsweise attraktive ­Investments in maßgeschneiderte Infrastruktur-Kreditportfolien, an deren Strukturierung wir derzeit arbeiten, wohl aufs nächste Jahr geschoben, in der Hoffnung, dann klarere Rahmenbedingungen zu haben.

Hoffentlich fällt RWE künftig nicht unter Solvency II. Herzlichen Dank an alle Beteiligten!

portfolio institutionell, Ausgabe 10/2013

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