Investoren
14. Dezember 2022

Die Benchmark für Nachhaltigkeitsberichte kommt aus München

Immer mehr Firmen äußern sich zu ihren Ambitionen in Sachen Nachhaltigkeit. Für manche ist das eine lästige Pflicht, für andere die Gelegenheit zu zeigen, was sie antreibt.

Der Versuch von Unternehmen und Organisationen, klimafreundlich und generell nachhaltig zu wirken, ohne tatsächlich entsprechende Maßnahmen für Nachhaltigkeit umzusetzen, ist schäbig und wird Greenwashing genannt. In Australien wurde nun erstmals ein Unternehmen wegen Greenwashings bestraft. Dabei handelt es sich um die börsennotierte Energiefirma Tlou Energy. Da sie ihre Unternehmenspraktiken als umweltfreundlicher darstellte als diese in Wahrheit waren, verhängte die australische Wertpapieraufsichtsbehörde ein Bußgeld von umgerechnet rund 22.000 Euro. Es dürfte der Auftakt zu einer Reihe von Enthüllungen sein. Denn in Down Under laufen zahlreiche weitere Prüfverfahren gegen Firmen und Kapitalsammelstellen in Sachen Greenwashing.

Welche Unternehmen transparent und glaubwürdig über ihre Aktivitäten berichten, erfährt man in Deutschland beispielsweise von der Sustainable Finance Research Group an der Universität Hamburg und dem von ihr ins Leben gerufenen „Building Public Trust Award“. Eine Fachjury unter dem Vorsitz von Prof. Dr. Alexander Bassen „garantiert“ eine hohe Qualität bei der Beurteilung und Prämierung externer Unternehmensberichte im Hinblick auf eine gelungene und glaubwürdige Integration von Nachhaltigkeitsaspekten. Bereits seit 2016 gibt es den von der Prüfungsgesellschaft PWC unterstützten Award.

Sich tief in Nachhaltigkeitsberichte einlesen, das können Investoren aber schon seit mehr als zwei Jahrzehnten. BMW beispielsweise, mehrfach ausgezeichneter Musterknabe in Sachen Öffentlichkeitsarbeit, hat erstmals 2001 eine Umweltberichterstattung für das Unternehmen eingeführt. Und hier hat sich seither viel getan. „Unser Anspruch ist es, der erfolgreichste und nachhaltigste Premiumhersteller für individuelle Mobilität zu sein“, verkündet der drittgrößte deutsche Autokonzern stolz. Zudem verpflichtet sich das Unternehmen aus München auf einen Kurs, der dem 1,5-Grad-Ziel zur Begrenzung der globalen Erwärmung entspricht und bekennt sich zu dem Ziel einer vollständigen Klimaneutralität über die gesamte Wertschöpfungskette bis spätestens 2050.

Strategieplanung vor dem Hintergrund des Klimawandels

Nachhaltigkeitskriterien spielen für die BMW Group auch in der Anlage des Pensionsvermögens eine große Rolle. Im Mittelpunkt stehen dabei die Messung des CO₂-Fußabdrucks für weite Teile des Pensionsvermögens und die damit verbundenen Risiken für die künftige Wertentwicklung des Vermögens. Vorbildlich ist der Fahrzeugbauer aber auch in Sachen Öffentlichkeitsarbeit: Die jahrelang separat veröffentlichten Publikationen Geschäftsbericht und Nachhaltigkeitsbericht hat BMW für 2020 zusammengeführt. Das Ergebnis war der im März 2021 erstmals vorgelegte integrierte Konzernbericht. „Darin sind sowohl die Finanzzahlen als auch die Nachhaltigkeitsinformationen gesamthaft enthalten“, erläutert ein BMW-Sprecher und betont: „Damit richtet sich die Publikation an alle Stakeholder.“

Der aktuelle Konzernbericht umfasst 353 Seiten. Darin taucht der Begriff „nachhaltig“ mit 164 Treffern fast so häufig auf wie „fahren“ (115 Treffer) und „Antrieb“ (63) zusammen. Wer den nun integrierten Bericht betrachtet und sich vor Augen führt, was die Bayern da gerade in Sachen Nachhaltigkeit auf die Räder stellen, sollte sich daran ein Beispiel nehmen – und nicht verzagen, auch wenn die Latte noch so hoch liegt. Denn die Integration von Nachhaltigkeit in ein Unternehmen ist eine fortlaufende Entwicklung – eine Transformationsreise, die nach Einschätzung der Wirtschaftsprüfer von BDO ein ständiger Prozess der Überwachung und Veränderung und des Überdenkens ist, „wie“ man Nachhaltigkeit letztendlich in der gesamten Organisation verankern kann.

China ist nicht die einzige große Herausforderung

BMW ist zwar gewissermaßen die Benchmark für ESG-Berichte. Allerdings steht der Automobil- und Motorradkonzern, zu dem auch die Marken Mini und Rolls-Royce gehören, ebenso wie sämtliche seiner Wettbewerber und Zulieferer unter gewaltigem Druck. Nicht nur wegen steigender Kosten und der unheilvollen Abhängigkeit vom chinesischen Automarkt. BMW operiert nach eigener Analyse im Spannungsfeld herausfordernder, zunehmend komplexer und weltweit differenzierter Rahmenbedingungen. Dazu zählen neben einem globalisierten Wettbewerb auch Megatrends wie Elektrifizierung und Vernetzung, der Fokus des Kapitalmarkts auf Profitabilität und Wachstum, Nachhaltigkeit sowie gesellschaftliche Erwartungen vor dem Hintergrund des Klimawandels. Mit diesen „Umfeldfaktoren und ihrer hohen Veränderungsdynamik als wichtigen Eingangsgrößen entwickeln wir unsere Unternehmensstrategie kontinuierlich weiter und richten unsere strategischen Ziele entsprechend aus“, erläutert das Unternehmen ausführlich und ist damit natürlich nicht allein.

Laut KPMG berichten die 250 größten Unternehmen der Welt fast alle „in irgendeiner Form“ über Nachhaltigkeit. Das zeigt die neue und inzwischen 12. Auflage des „KPMG Survey on Sustainability Reporting“, für den die Berichterstattung der jeweils 100 umsatzstärksten Unternehmen aus 58 Ländern und Rechtsordnungen ausgewertet wurde – darunter die 250 größten der Welt. Laut KPMG berichten in Deutschland sämtliche der 100 umsatzstärksten Unternehmen über ihre Nachhaltigkeitsanstrengungen. 2020 waren es erst 92. Nachholbedarf sehen die Wirtschaftsprüfer von KPMG bei der Berichterstattung über Risiken in Bezug auf die Vielfalt der Arten und Ökosysteme (Biodiversität): Hier sehen nur 29 Prozent der deutschen „Top 100“ einen Verlust als Geschäftsrisiko an (weltweit: 40 Prozent). Andere Beobachter mahnen zudem eine bessere Vergleichbarkeit der Berichte an, wie ein offener Brief des Sustainable-Finance-Beirats der Bundesregierung zeigt.

Offener Brief des Expertengremiums

In dem Dokument unterstreicht das Expertengremium unter der Leitung von Silke Stremlau, Vorständin der Hannoverschen Kassen, wie wichtig es sei, die europäische und die internationale Nachhaltigkeitsberichterstattung zu harmonisieren. Denn hier gibt es zahlreiche Standardsetzer, die eigene Ziele verfolgen. Der Beirat wirbt für eine enge Abstimmung und Harmonisierung der Akteure mit dem Ziel einer „vollständigen Widerspruchsfreiheit zwischen internationalen und EU-Standards“. Robuste, prüfbare und vergleichbare Nachhaltigkeitsinformationen bildeten nun einmal die Basis für einen aktiven und effektiven Umgang des Finanzsektors mit Nachhaltigkeitsthemen wie etwa den Biodiversitätsverlust, so die Regierungsberater.

Zurück zur Sustainable Finance Research Group der Uni Hamburg und ihrer Analyse der Unternehmensberichte. Besonders glaubwürdig seien die Berichte von BMW, des Chemiekonzerns Evonik und der Robert Bosch GmbH. Diese drei haben im Oktober den Preis für die beste Nachhaltigkeitsberichterstattung erhalten. Im Börsenindex der mittelgroßen Unternehmen konnte Evonik mit einer besonders anschaulichen und klaren Darstellung punkten. Im M-Dax falle die Berichterstattung aber deutlich hinter die im Dax-40 zurück, umschreibt Jurychef Bassen die Qualitätsunterschiede und lobt: „Evonik sticht hier sehr positiv hervor.“

Petra Justenhoven, ebenfalls Mitglied der Jury und Sprecherin der Geschäftsführung von PWC Deutschland, ergänzt: „Lange waren wir gewohnt, die wirtschaftliche Situation und den Wert eines Unternehmens vor allem an materiellen Kriterien zu messen, an Zahlen, KPIs und Finanzdaten.“ Nachhaltigkeit füge nun weitere Faktoren hinzu, „nämlich diejenigen Auswirkungen, die die Aktivitäten von Unternehmen auf die Umwelt, auf das soziale Gefüge und auf Verlässlichkeit in der Wirtschaft haben“. PWC-Expertin Justenhoven sagt, Kunden, Investoren und weitere Stakeholder interessierten sich daher längst nicht mehr nur für die Finanzzahlen eines Unternehmens.

Auch Daimler berichtet vorbildlich

Die Juroren der besten Nachhaltigkeitsberichte in Deutschland beleuchten jedes Jahr andere ESG-Aspekte. 2022 richteten sie ihr Augenmerk auf die Berichterstattung über Klimaschutz und Klimawandel, über die Lieferkette sowie über die neuen EU-Taxonomie-Angaben. Im Vorjahr standen Diversität und Biodiversität im Mittelpunkt, 2020 war es die Klimaberichterstattung. Preisträger sind Daimler und Symrise (2021) sowie die Deutsche Telekom, Continental und Evonik (2020).

Schade ist allerdings, dass sich die Experten vom Building Public Trust Award nicht zu der Frage äußern, welche Unternehmen in ihren Analysen nicht so gut abschneiden. Aber gerade das interessiert Stakeholder brennend. Gleichwohl erläutern sie, wo noch „Handlungsbedarf“ besteht: Die Mehrzahl der betrachteten Unternehmen berichtet „detailliert über die Auswirkungen ihres Handelns auf den Klimawandel und ihrem Managementansatz hierzu, beispielsweise in Form von Klimastrategien. Ebenso berücksichtigen viele Unternehmen Klimarisiken.“ Diese Risikobetrachtung bleibe aber „häufig auf einer beschreibenden Ebene“ und werde selten in monetären Größen quantifiziert, monieren die Experten um Professor Bassen und die Bilanzprüfer von PWC.

Kommende Berichtspflichten im Blick

Ein Schwerpunkt ist 2022 die Berichterstattung im Kontext der unternehmerischen Sorgfaltspflichten in Bezug auf Menschenrechte entlang der Lieferkette. „Erfreulicherweise“, so die Jury, „ist festzustellen, dass eine Vielzahl an Unternehmen bereits mit Hinblick auf die kommenden Berichtspflichten nach dem Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz (LkSG) ihre Berichterstattung adaptieren und auch über eine Neu- und Risikobewertung ihrer Lieferanten sowie interne und externe Beschwerdekanäle berichten.“

Jedoch sei zu beobachten, „dass ein erhebliches Entwicklungspotenzial in der Berichterstattung ergebnisorientierter Ziele sowie tatsächlicher Auswirkungen der unternehmerischen Aktivitäten auf die Menschenrechte in der Lieferkette vorherrscht“. Eine kontinuierliche Weiterentwicklung in diesem Bereich, auch mit Fokus auf den EU-Vorschlag einer Corporate Sustainability Due Diligence Directive (CSDDD), werde notwendig sein.

Das dritte Schwerpunktthema des Building Public Trust Awards ist in diesem Jahr die Berichterstattung zur EU-Taxonomie. Die Veröffentlichung der EU-Taxonomie-Verordnung erfolgte im Juli 2020. Der Delegierte Rechtsakt zu den ersten beiden Umweltzielen Klimaschutz und Anpassung an den Klimawandel sowie der Rechtsakt zu den Berichtspflichten (Art. 8 der EU-Taxonomie-Verordnung) traten Ende Dezember 2021 in Kraft. Mit der in den Delegierten Rechtsakten festgelegten stufenweisen Einführung der EU-Taxonomie müssen Unternehmen wie die BMW Group bereits für das Jahr 2021 den taxonomiefähigen Anteil an Umsatz, Investitions- und Betriebsausgaben für die ersten beiden Umweltziele berichten. Ab den Berichtsjahren 2022 und 2023 ist die sukzessive Ausweitung der Berichtspflicht auf die taxonomiekonformen Anteile von Umsatz, Investitions- und Betriebsausgaben sowie alle Umweltziele vorgesehen.

Nur einige wenige Unternehmen berichten bereits heute über die Taxonomie-Konformität ihrer Wirtschaftsaktivitäten, erläutert die Jury. Insgesamt mangele es der Berichterstattung aber häufig an „interpretativen Elementen und inhaltlicher Tiefe“, lautet ein Kritikpunkt der Prüfer. Gleichzeitig räumt das Gremium ein, dass die von Unternehmen geäußerte Kritik an der Taxonomie-VO, etwa in Bezug auf Auslegungsschwierigkeiten, nachvollziehbar sei. Die Jury hofft, „dass die Taxonomie-Berichterstattung in den nächsten Jahren einen größeren Stellenwert in der Nachhaltigkeitsberichterstattung erfahren wird“.

Wendepunkt in der Unternehmensberichterstattung

Nach Einschätzung von Nicolette Behncke, PWC-Partnerin und Expertin für ESG-Reporting, befinden wir „uns an einem Wendepunkt und zugleich in der größten Transformation der Unternehmensberichterstattung“. Denn die ESG-Faktoren Environmental, Social und Governance werden für die Berichterstattung verpflichtend, insbesondere durch die Regulierungen auf europäischer Ebene. Hier kommt viel Arbeit zu auf die Autorinnen und Autoren der Nachhaltigkeitsberichte und die daran beteiligten Fachabteilungen, zumal der Aus- und Umbau der Nachhaltigkeitsberichterstattung in den nächsten Jahren ganz oben auf der Agenda von Vorstand und Aufsichtsrat zu finden sein wird, wie Petra Justenhoven erwartet.

Was die Nachhaltigkeitsziele von BMW betrifft, ist die Route bereits im Navi gespeichert: „Effektiver Klimaschutz kann nur gelingen, wenn die CO₂-Emissionen von der Ressource bis zum Recycling gesenkt werden, also über die gesamte Wertschöpfungskette“, erläutert Alexander Bilgeri. Der BMW-Sprecher blickt in die Zukunft: Aus den Autos von heute werden die Rohstoffe für die Autos von morgen gewonnen. Perspektivisch sollen die Fahrzeuge zur Hälfte aus recycelten Materialien hergestellt werden. Alte Plastikflaschen dienen dann zum Beispiel als Material für den Dachhimmel im Neuwagen. Bereits heute werden BMWs im Durchschnitt aus bis zu 30 Prozent recycelten Materialien gefertigt. Die Pläne mögen utopisch erscheinen. Glaubwürdig sind sie auf jeden Fall.

 

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