Pensionsfonds
16. Februar 2023

Derivate: Zu Risiken und Nebenwirkungen fragen Sie die Zentralbank

In den Niederlanden spielte sich 2022 ein Drama ab: Im ­ersten Halbjahr mussten niederländische Pensionsfonds Titel im Wert von 88 Milliarden Euro verkaufen, das entspricht knapp fünf ­Prozent ihres Gesamtvermögens. Grund waren unter anderem Nachschuss­forderungen auf Derivatepositionen. Die Parallelen zur englischen LDI-Krise, die im vergangenen Herbst beinahe die englischen Pensionskassen an Liquiditätsgrenzen brachte, sind offensichtlich. Sollten deutsche Anleger sich auch Sorgen um ihre Derivatepositionen machen?

Die englischen und niederländischen Altersvorsorgesysteme ­haben einiges gemeinsam. Im europäischen Vergleich fallen beide durch ihre umfangreichen Defined Benefit (DB) Altersvorsorgemodelle auf. Mit einem verwalteten Vermögen von 1,4 Billionen Euro haben die Niederländer trotz Verlusten immer noch einen Löwenanteil des europäischen Altersvorsorgevermögens. Ist Holland in Not, sollten daher auch deutsche Anleger aufmerksam werden.

Niederländische Pensionsfonds nutzen wie auch die englischen DB-Pendants ein auf Derivaten basierendes Overlay, um die Risiken eines Inflations- oder Zinsanstieges zu kontrollieren. Denn auch marginale Zinsanstiege können sich dramatisch auf die Bewertung aktueller Verpflichtungen auswirken. Die Pensionsfonds nutzen dabei Derivate wie Swaps, die sie bei Großbanken wie der ­Deutschen Bank einkaufen, um sich gegen die Risiken steigender Inflation und Zinsen zur wappnen. Im Niedrigzinsumfeld war das durchaus profitabel. So verbuchte ABP, der 460 Milliarden Euro schwere Pensionsfonds des öffentlichen Dienstes, im Jahr 2018 teilweise Gewinne im zweistelligen Bereich. Innerhalb der letzten zwei Jahre hatten Pensionsfonds ihre Derivatepositionen erheblich ausgebaut, wie Daten der niederländischen Zentralbank DNB ­zeigen. Ende 2021 hielten die Fonds im Schnitt knapp zehn Prozent ihres Gesamtvermögens in Derivaten. Doch das kam ihnen 2022 teuer zu stehen. Zwar wirkten sich steigende Zinsen zunächst ­einmal positiv auf Anlagerendite und die Bewertung aktueller Verbindlichkeiten aus, für die Zins- und Inflations-Hedges war der Trend aber problematisch. Genau wie in England führten steigende Zinsen zu massiven Nachschussforderungen der Derivateanbieter. Dadurch stießen die Pensionsfonds zum Teil an die Grenzen ihrer Cash-Reserven und sahen sich gezwungen andere liquide Assets zu verkaufen. Dabei handelte es sich größtenteils um liquide Titel wie Investment Fund Units in Höhe von 57 Milliarden Euro und ­Geldmarktfonds im Wert von acht Milliarden Euro. Aber auch ­Aktienfonds verzeichneten 25 Milliarden Euro an Abflüssen.

Die Folgen waren dramatisch. So erlitt ABP 2022 in seinem Anleihe­portfolio einen Verlust von mehr als 40 Milliarden Euro. Lang­laufende Staatsanleihen verloren mehr als 30 Prozent ihres Werts. Selbst wenn man die Overlay-Strategie außen vor lässt, erlitt ABP in 2022 Verluste von mehr als 50 Milliarden Euro. Rechnet man das Overlay dazu, dann belaufen sich die Verluste auf satte 91,5 ­Milliarden Euro. Das Gesamtvermögen des Pensionsfonds fiel ­dabei innerhalb eines Jahres von 528 auf 460 Milliarden Euro. ­Ähnlich ist die Lage beim Pensioens Fonds Zorg en Welzijn (PFZW): Dessen Vermögen sank in 2022 von 288,8 auf 217 Milliarden Euro.

Trotz dieser Verluste stehen die einzelnen Fonds aber viel besser da. So stieg der Deckungsgrad von ABP auf 124 Prozent und liegt bei PFZW bei 115 Prozent. Das liegt ausschließlich daran, dass ­steigende Zinsen sich positiv auf die Bewertung der aktuellen Verbindlichkeiten ausgewirkt haben. Diese sanken bei ABP von 502 auf 370 Milliarden Euro und bei PFWZ von 260 auf 189,5 Milliarden Euro. Mitglieder des ABP genießen deshalb eine Erhöhung des Rentensatzes von knapp 12 Prozent. Der Einfluss des Zinssatzes ist mit Großbritannien zu vergleichen. Auch dort stehen die Bilanzen der Rentensysteme trotz der akuten Liquiditätskrise besser da.

Doch es gibt auch wesentliche Unterschiede zwischen den beiden ­Ländern diesseits und jenseits des Ärmelkanals. In Großbritannien eskalierte die Krise so schnell, weil der Markt für Gilts verhältnismäßig klein ist und von den DB-Pensionsfonds dominiert wird. Die Niederländer dahingegen profitieren davon, dass der Euro-Markt für Staatsanleihen sehr viel größer ist und sie vor allem ­Anleihen von anderen Ländern besitzen. ABP hält zum Beispiel vor allem französische, deutsche und amerikanische Anleihen und ist deshalb weniger an die Haushaltspolitik der niederländischen ­Regierung gebunden. Da die DB Schemes in Großbritannien den Anleihemarkt dominieren, löste jeder Verkauf einen Teufelskreis aus, der die Preise für Anleihen weiter nach ­­unten drückte und Nachschussforderungen wieder erhöhte.

Die Niederländer haben auch weniger Einfluss auf ihren Aktienmarkt. So verkauften sie zwar Aktientitel im Wert von 25 Milliarden Euro, dies waren aber vor allem globale Aktien. Der niederländische AEX-Index sank im vergangenen Jahr zwar um sechs Prozent, das dürfte allerdings eher der globalen Wirtschaftskrise zuzu­schreiben sein. Die Krise in England spielte sich innerhalb eines sehr kurzen Zeitraumes ab, in der Periode von Ende September bis Mitte Oktober sank der FTSE allerdings von 7.400 auf 6.800 Punkte, die Liquiditätskrise war also deutlich spürbar. Zudem verschlimmerten Währungsrisiken die Krise in England, da ein Verkauf der Staatsanleihen indirekt auf den Wert der Währung drückt. Der Wert des Pfundes gegen den US-Dollar sank Mitte September von 1,15 auf 1,08. Dieses Problem haben die Niederländer als Mitglied des Euroraumes nicht. Außerdem orientiert sich der Wert der ­niederländischen Derivate grundsätzlich am Euribor während die englische Libor Rate volatiler ist. Diese Unterschiede trugen dazu bei, dass die niederländische Liquiditätskrise nicht so explosiv war wie englische, sie bekam auch entsprechend weniger Berichterstattung in den Medien.

Genau wie in Großbritannien illustriert die niederländische Krise jedoch die Widersprüche, die entstehen, wenn ein Pensionsfonds seine Verbindlichkeiten anhand langlaufender Rentenrenditen ­berechnet. Jahrelang hatten Pensionsfonds wie ABP in den ­Niederlanden oder USS im Vereinigten Königreich relativ stabile Gewinne auf ­ihre Kapitalanlagen gebucht. Gleichzeitig sank der Deckungsgrad, weil die Anleihenrendite niedrig war und die ­Mit­glieder der Altersvorsorgeeinrichtungen mussten Kürzungen ihres Renteneinkommens hinnehmen.

Nun verbuchen die gleichen Pensionsfonds zum ersten Mal seit Jahren enorme Verluste, ABP erhöhte aber trotzdem die Aus­zahlungen an Mitglieder auf knapp zwölf Prozent. Das würde Sinn ­machen, wenn die entsprechenden Fonds ausschließlich in ­Anleihen angelegt sind und entsprechende Gewinne buchten, ­gerade die Anleihestrategien verbuchten allerdings im ver­gangenen Jahr durch eine Kombination von Durations-Risiken und Problemen beim Hedging massive Verluste.

Deutsche Anleger dürften sich angesichts dieser Turbulenzen ­erstmal zurücklehnen und davon ausgehen, dass diese Krise sie nicht betrifft. So sind deutsche Altersvorsorgeeinrichtungen zwar weniger in Derivaten unterwegs, für viele Versicherer ist es  allerdings durchaus ein Thema. Eine Umfrage der Bafin aus dem Jahr 2021 ergab, dass knapp ein Drittel aller deutschen Versicherer Derivate im Direktbestand nutzen, zwei Drittel nutzen diese im ­indirekten Bestand, zum Beispiel in Spezialfonds. Die Liquiditätskrise in den Niederlanden zeigt, dass Anlagen mit Hebelwirkung durchaus ihre Risiken haben.

Systemrisiken für Banken

Neben den Liquiditätsproblemen bei einzelnen Anbietern können Derivate auch ein Systemrisiko darstellen. Eine aktuelle Umfrage der EZB ergab, dass beinahe ein Drittel aller europäischen ­Investmentfonds, die Derivate nutzen, ungenügende Liquiditäts­reserven haben, um im Falle einer Krise den Nachschuss­forderungen zu entsprechen. Die EZB-Studie ergab auch, dass ­Derivat-Portfolios zunehmend pfandbesichert sind, gleichzeitig sank der Anteil liquider Titel im Gesamtportfolio europäischer ­Anleger innerhalb der vergangenen elf Jahre von 35 auf 30 Prozent. Dadurch steigt die Wahrscheinlichkeit, dass Fonds liquide Titel wie Geldmarktfonds prozyklisch verkaufen und somit die allgemeine Marktliquidität negativ beeinflussen, warnt die EZB.

Im Extremfall könnte es auch dazu kommen, dass die Pensionsfonds den Nachschlusspflichten nicht entsprechen können. Sie ­verlieren dadurch ihre Hedging-Position. Das größere Problem ist allerdings, dass die Banken, welche die Derivate ausgestellt haben, dann mit den entsprechenden Verlusten konfrontiert werden. So war der Hauptgrund für die dramatischen Interventionen der Bank of England im September und Oktober nicht die Sorge um die ­finanzielle Gesundheit der DB Pension Fonds, sondern um das Wohl der Banken, welche die Derivate ausgestellt hatten.

Experten schätzen, dass die Hebelwirkung der Derivate das ­Volumen der englischen LDI-Strategien verdreifacht hat. So ­durften die britischen Anleger mit einem Vermögen von 1,5 Billionen Pfund spielen, auch wenn sich das eigentliche Volumen der LDI-Strategien nur auf 500 Milliarden Pfund belief. Aus regulatorischer Sicht agieren die Pen­sionsfonds dabei als „non-bank actors“ also als Schatten­banken und sind entsprechend auch nicht ausreichend reguliert, warnen ­sowohl die Bank of England als auch die Europäische ­Zentralbank, EZB.

Für den niederländischen Markt ist das Ausmaß der Hebelwirkung noch nicht bekannt, aber die Risiken dürften vergleichbar sein. Auf dem Spiel steht also nicht nur die Gesundheit von ABP und ­anderer Pensionsfonds, sondern die der Banken, welche die Derivate ­ausstellen. Und damit im Extremfall auch die Gesundheit der ­globalen Finanzmärkte.

Autoren:

Schlagworte: | | |

In Verbindung stehende Artikel:

Schreiben Sie einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert