Pension Management
1. November 2022

Chemie-Branche legt bei reiner Beitragszusage den Turbo ein

Das Sozialpartnermodell hat fast fünf Jahre nach der gesetzlich ­fixierten Erlaubnis immer noch keinen erfolgreichen Praxistest ­bestanden. Nachdem bei den ersten Projekten die Bafin den Spielverderber gab, scheint es in der Chemie-Branche nun zu funken. Hintergründe vermittelte eine Sozialpartner-Fachtagung in Berlin.

Die bAV-Schmieden basteln seit 2018 an Sozialpartnermodellen (SPM), die auf eine reine Beitragszusage (rBZ) setzen. Über Zwischenschritte ist bisher niemand hinausgekommen. Nun schickt sich die Chemie-Branche an, Nägel mit Köpfen zu machen. Nach vielen Monaten wiederholter Ankündigungen von Verdi und Talanx rund um den Haustarifvertrag für rund 11.000 Talanx-Beschäftigte hängt das Vertragswerk in der obligatorischen Prüfung noch immer bei der Bafin fest – schon seit 18 Monaten (siehe Ausgabe 6/2021).

Kein Ruhmesblatt für die neueste Zusageart der deutschen bAV, wo Arbeitnehmern statt einer garantierten Mindestleistung (BZML) ­lediglich eine Zielrente zugesagt wird. Im Gegenzug werden ­Arbeitgeber von der Mithaftung für die Garantie befreit („pay and forget“). Solche Zielrentensysteme („defined ambition“) gibt es hierzulande noch nicht. Neben die früher übliche Leistungszusage, die inzwischen weitgehend der beitragsorientierten Leistungs­zusage (BOLZ) oder einer BZML gewichen ist, soll nun bald eine vierte Zusage-Art innerhalb der bAV treten.

Praktisch gibt es bislang nur Projekt-Ansätze. Neben dem Talanx-Projekt, das gemeinsam mit Zurich über das Konsortium „Die Deutsche Betriebsrente“ eine Zielrenten-Lösung auf Basis eines ­kapitalmarktbasierten Pensionsfonds ansteuert, sind inzwischen weitere Projekte in der Erprobungsphase. So ist auch das Bankhaus Metzler mit dem Metzler Sozialpartner Pensionsfonds „in fort­geschrittenen Gesprächen“, berichtete Christian Remke, Geschäftsführer der Metzler Pension Management, schon mehrfach. Es geht um ein SPM auf Basis eines Verbands-Tarifvertrages der Energiewirtschaft (Einzel-Arbeitgeber und Arbeitgeberverbände mit ­Öffnungsklausel für weitere Unternehmen) sowie einen Haustarifvertrag mit einem großen Gasversorger unter Beteiligung der ­Gewerkschaften IG Bergbau, Chemie, Energie (BCE) und Verdi. Bestätigt wird dies durch Verdi. Der SPM-Branchentarifvertrag für die Energiewirtschaft gemeinsam mit der IG BCE sei sehr weit ­gediehen, so Judith Kerschbaumer, Bereichsleiterin Sozialpolitik bei Verdi. Grünes Licht von der Bafin sei schon da, doch den harten Starttermin gab es bis Redaktionsschluss noch nicht.

Da passt es gut, dass die Chemie-Sozialpartner schon aus der ­Deckung gekommen sind, obwohl die Bafin-Zustimmung noch aussteht. „Wir rechnen mit der Bafin-Genehmigung voraussichtlich noch im Oktober und dem Start dann im November“, sagte Lutz Mühl, Geschäftsführer Wirtschaft und Sozialpolitik des ­Arbeitgeberverbandes BAVC, auf einer Fachtagung der Chemie-­Sozialpartner am 21. September. „Alles ist unterschriftsreif“, bestätigt Christian Jungvogel, Abteilungsleiter Tarifpolitik der IG BCE. Alles in allem dauerte es nur knapp ein Jahr für sämtliche Beratungen und Dokumente zwischen den Sozialpartnern mit der R+V als Träger des Chemie-Pensionsfonds, dem Berater Mercer und mehrfach auch der Bafin. Die Chemie wäre damit die erste Branche, die das SPM „zum Fliegen bringen wird“, sagt Klaus-Peter Stiller, Hauptgeschäftsführer des BAVC. Man werde den Chancen ­Vorfahrt geben vor den Garantien. Ungewohnt harmonisch gibt sich auch die Gewerkschaft – zumindest die IG BCE: „Das SPM wird die bAV durch höhere Renditechancen und einen neuen Sicherungsbeitrag der Arbeitgeber attraktiver und zukunftsfest machen“, so Tarifvorstand Ralf Sikorski.

Tatsächlich stiften die Chemie-Arbeitgeber fünf Prozent Sicherungsbeitrag, um Rentenschwankungen auszugleichen. Damit sei das SPM keine Zockerrente, wie von den Linken unterstellt, ­sondern klarer Chancen-Zuwachs, meint Sikorski. Es werde als Matching-Modell die Entgeltumwandlung mit AG-Beiträgen ­aufstocken, sagt R+V-Vorstand Rüdiger Bach, zugleich Vorstand des Chemie-Pensionsfonds. Dazu gebe es eine variabel anpassbare Beitragszahlung. Chancenreiche Kapitalanlage sei sowohl in der Anwartschaftsphase als auch im Rentenbezug möglich. Als ­Leistung kann eine Altersrente mit oder ohne Hinterbliebenen­rente vereinbart werden, bei Tod in der Anwartschaftsphase wird individuelles Versorgungskapital an Hinterbliebene verrentet.

Nutznießer des tariflich abgesegneten Projekts sind zunächst neue Tarifbeschäftigte in den Chemie-Betrieben, die für ihre Alters­vorsorge den Chemie-Pensionsfonds wählen. Für die bisherigen Kunden des Pensionsfonds ändert sich nichts an den bestehenden Verträgen und Versorgungen. Neu gegenüber der bisherigen ­Kooperation beim Chemie-Pensionsfonds sei beim SPM die ­Einrichtung eines Steuerungsausschusses mit je drei Vertretern von BAVC, IG BCE und R+V. Der Ausschuss legt zum Beispiel ­Rentenfaktoren fest und gibt den Rahmen für die Kapitalanlage vor, so Jungvogel.

Was die konkrete Kapitalanlage angeht, so gab Timm Höynck, ­Leiter Portfoliomanagement R+V und Vorstand des Chemie-­Pensionsfonds, auf der Fachtagung erste Einblicke. Der schon 20 Jahre bestehende Pensionsfonds liefere von Anfang an über­zeugende Ergebnisse, auf die das SPM aufsetzen kann. Ziel sei ­eine langfristige und flexible Anlage für verlässliche Rendite, schnell und zuverlässig umsetzbar. „Die dynamische Steuerung der Allokation wird mit einem Aktienanteil zwischen zehn und 80 Prozent gefahren, wobei eine jährliche Startquote von 40 Prozent vorgesehen ist“, berichtet Höynck. Es gehe aber nicht ohne eine ­aktive Rentenstrategie. „Ein strategisches Rentenportfolio ist nötig, da nicht nur Barwerte wichtig, sondern auch Zahlungsstrom­verpflichtungen für die Leistungen zu beachten sind“, erklärt der Vorstand. Aus der Erfahrung mit dem Chemie-Pensionsfonds ­erfolge die Wertsicherung mit acht Prozent Risikobudget. Neben dynamischer Aktiensteuerung und aktiver Rentenstrategie sowie Wertsicherung beinhaltet das Anlagekonzept auch eine kosten­effiziente Abbildung, quantitative Zinssteuerung und Berück­sichtigung von Markt-, Risiko- und Frühwarnindikatoren.

Der historische Backtest von Januar 2005 bis Juli 2022 ergab laut Höynck 6,14 Prozent Rendite bei 6,7 Prozent Volatilität. Der ­maximale Monatsverlust betrug 17 Prozent (März 2020), der maximale Jahresverlust 9,46 Prozent (02/08 – 02/09). Höyncks Fazit: Das dynamische Anlagekonzept bringt Performancestärke in ­unterschiedlichsten Marktphasen, reduziert Volatilität und maximale Verluste wirksam, bietet attraktive langfristige absolute und risikoadjustierte Performance. Wie die Diversifikation des Port­folios aussieht, zeichnet sich ebenfalls schon ab (siehe Grafik).

Für den Pensionsberater Longial dürfte der Zulauf zur rBZ nur noch eine Frage der Zeit sein: „Die rBZ ist in nahezu allen Ländern die gewünschte Versorgungsform, an der mittelfristig auch bei uns kein Weg vorbeiführt.“ Allerdinge gebe es anderswo dabei keine ­Tarifbindung. Die wird in Deutschland aber Pflicht bleiben. Rolf Schmachtenberg, Staatssekretär im BMAS, erteilte auf der Tagung der Idee eine Absage, die rBZ auch auf Betriebsebene zu erlauben oder sogar ohne Einschränkung für alle Arbeitgeber zu öffnen. Wörtlich sagte er: „Niemand kann glauben, dass die rBZ in solch kleinen Strukturen, also bei einzelnen kleinen Unternehmen, zu guten Ergebnissen führen wird.“ Das BMAS habe kein Interesse an einer bAV-Ausbreitung um jeden Preis, sondern möglichst viele ­Beschäftigte sollten sich qualitativ hochwertigen SPMs anschließen können. Ihm schweben „fünf bis sieben große Tanker vor, bei denen andere andocken können“.

In einigen Punkten müssten noch die Rahmenbedingungen überprüft und möglichst verbessert werden. Namentlich nannte Schmachtenberg die Überprüfung ­arbeitsrechtlicher Garantien, Optimierung der steuerlichen Förderung und das Nutzen von Spielräumen im Finanzaufsichtsrecht. In diesen Tagen startet ­daher ein Fachdialog unter der Ägide von BMAS und BMF. ­Ergebnisse sollen 2023 in ein Gesetzgebungs­verfahren münden. Erhofft wird sich dadurch auch ein baldiges Ende der Diskussion mit der Bafin um die SPM-Zulassungen. „Kollektive Lösungen sind der Schlüssel für eine zukunftsfeste Altersversorgung“, ist Schmachtenberg überzeugt.

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