Recht, Steuer & IT
24. Januar 2024

Betriebsrente-Mythen im Realitäts-Check

Die bAV-Verbreitungsquote ist ernüchternd und will trotz BRSG und aller sonstigen Bemühungen nicht so recht steigen. Fünf große Mythen ranken sich rund um die Verbreitung von Betriebsrenten. Eine Fachtagung brachte Ernüchterung, doch die Hoffnung stirbt bekanntlich zuletzt.

Für die bAV war auch 2023 ein mehr oder weniger verlorenes Jahr. Weder gelang der vielbeschworene Durchbruch bei der Beteiligung, die aktuell bei 53 Prozent aller Arbeitnehmer verharrt, auf 80 Prozent, die das Bundesarbeitsministerium (BMAS) mittelfristig als Ziel ausgegeben hat. Noch ist der „Fachdialog zur Stärkung der Betriebsrente“, ausgelöst vom BMAS und flankiert vom BMF, in ein Gesetzespaket geflossen, das dringend nötige Änderungen im Arbeitsrecht, Finanzaufsichtsrecht und Steuerrecht umsetzen soll.

Tatsächlich soll das Gesetzgebungsverfahren erst 2024 starten, sei aber „schon in Arbeit“, merkte BMF-Staatssekretär Florian Toncar auf der bAV-Handelsblatt-Tagung an. Er nannte keinen konkreten Monat, hält aber ein Inkrafttreten des geplanten „Betriebsrentenstärkungsgesetzes 2024“ zum 1. Januar 2025 für wahrscheinlich. In diesem Zusammenhang sei auch eine Öffnung des Sozialpartnermodells (SPM) für nicht-tarifgebundene Firmen geplant.

Das Gesetzgebungsverfahren enthält insgesamt 24 Regelungspunkte, blickte BMAS-Staatssekretär Rolf Schmachtenberg auf der bAV-Fachtagung voraus. Darunter sind auch Neuerungen zur Erleichterung von Opting-out-Systemen auf Betriebsebene, zum vorzeitigen Betriebsrentenbezug, zur Schärfung des Begriffs „Sozialpartnermodell“ und zu Änderungen der Anlageverordnung.

Dennoch: „Die Entwicklung der bAV-Verbreitungsquote ist ernüchternd und will trotz BRSG und aller sonstigen Bemühungen nicht so recht steigen“, erinnerte Dr. Heinke Conrads, im Vorstand der Allianz Lebensversicherung zuständig für Firmenkunden, auf der Fachtagung. Die Einnahmequellen heutiger Rentner speisten sich zu 61 Prozent aus der gesetzlichen Rente, während betriebliche und private Zusatzversorgung es zusammen nur auf 15 Prozent brächten. Angesichts von jährlich über 100 Milliarden Euro Steuerzuschuss, für das eigentlich umlagefinanzierte System, sei es unumgänglich, die anderen Säulen zu stärken, insbesondere die bAV.

Allerdings rankten sich mindestens fünf große Mythen rund um die bAV-Verbreitung. „Solche Mythen haben manchmal mehr Macht und Wirkmächtigkeit als die Realität“, so Conrads. Namentlich geht es ihr um diese Mythen:

Mythos 1: Es besteht Einigkeit, dass die Verbreitung der bAV verbessert werden muss. „Doch besteht tatsächlich politischer und gesellschaftlicher Konsens, dass die bAV gestärkt werden muss?“, fragt Conrads in die Expertenrunde. Sie verweist auf Zweifler „bereits an dieser ganz grundlegenden Stufe“ unter Politikern und Gewerkschaftern.

Manche befürworteten eher eine Stärkung der gesetzlichen Rente zulasten der bAV, andere erteilten sogar eine Absage an die kapitalgedeckte Altersvorsorge zugunsten der gesetzlichen Rente. „Das kann nicht gutgehen“, ist der Allianz-Vorstand überzeugt. Die Substanz in der GRV werde angesichts der bereits heute herausfordernden Lage und der weiteren demografischen Entwicklungen weiter erodieren. „Substanz kann nur durch Investi­tionen in Substanzwerte, also durch Kapitaldeckung, aufgebaut werden“, so Conrads weiter.

Mythos 2: Arbeitgeber sind nicht motiviert, eine von ihnen finanzierte bAV einzurichten. Tatsächlich ist das Gegenteil der Fall, meint Conrads: „Es gibt eine tendenziell sogar steigende Motivation der Arbeitgeber, etwas für die bAV zu tun.“ Als Beweis zieht Conrads eine neue Benefits-Studie von Allianz Pension Partners (APP) heran. Demnach gibt es drei Arbeitgeber-Gruppen: Die Minimalisten tun nur das, was unbedingt nötig ist, also Umsetzung des Rechtsanspruchs auf Entgeltumwandlung, wenn Arbeitnehmer dies einfordern. Die Benchmark-Gruppe schaut sich am Markt um und versucht, in Sachen bAV nicht schlechter als der Wettbewerb zu sein. Und die High-End-Gruppe nutzt bAV, um sich deutlich vom Wettbewerb abzuheben.

APP befragte basierend auf dieser Klassifizierung rund 150 Unternehmen nach deren Selbsteinschätzung. Stand heute sieht sich rund ein Drittel als minimalistisch unterwegs, 59 Prozent sehen sich in der Benchmark- und nur sieben Prozent in der High-End-Gruppe, Tendenz stark steigend. So gehen die Minimalisten in den nächsten drei bis fünf Jahren auf sechs Prozent zurück, während sich der Anteil der High-End-Unternehmen verdreifachen wird. „Generell ist die bAV-Altersleistung laut Studie das mit Abstand beliebteste Benefit“, so Conrads.

Mythos 3: Arbeitgeber, die keine bAV anbieten, tun dies aufgrund von Haftungsrisiken nicht. Tatsächlich wird dieses Thema ­allenfalls unter „ferner liefen“ genannt, wenn man Arbeitgeber fragt, hält der Allianz-Vorstand dagegen. So zeigte schon die Machbarkeitsstudie zur bAV für KMU von 2014, dass Unternehmen vor allem keine bAV anbieten, weil sie viel Verwaltungsaufwand befürchten, Personal-Ressourcen fehlen, kein Interesse der Mitarbeiter vermuten und vor hoher Komplexität zurückschrecken.

Mythos 4: Immer umfangreichere und komplexere Regulierung hilft bei der Stärkung der Altersvorsorge. „Inzwischen ist Regulierung Segen und Fluch zugleich“, meint Conrads. Ein stabiler ­Rahmen und mehr Transparenz seien für alle Beteiligten absolut begrüßenswert. Doch ein Zuviel des Guten konterkariert genau diese Ziele und belastet die bAV auch mit zusätzlicher Komplexität, Kosten und Haftungsrisiken, wenn die regulatorischen Anforderungen nicht erfüllt werden. „Wir brauchen unbedingt ein vernünftiges Maß und die Erkenntnis, dass man mit weiter ausufernder Regulierung die Verbreitung der bAV nicht fördert, sondern eher hemmt“ ist sich Conrads sicher.

Mythos 5: Eine weitere Verbreitung der bAV gelingt nur mit neuen „Systemen“. Dem widerspricht der Allianz-Vorstand vehement. „Wir haben bereits heute eine ausdifferenzierte Landschaft an Durchführungswegen und Zusagearten, die alle Möglichkeiten für eine passgenaue bAV bieten.“ Leider werde oft übersehen, welche Stärke die bewährten Systeme mitbringen und welche immensen Investitionen dahinterstehen. „Diese sollten nicht behindert, sondern gestärkt werden“, fordert Conrads und nennt namentlich die Direktversicherung mit ihrer langjährigen Erfahrung, funktionierendem Wettbewerb und sicherem Regulierungsrahmen.

Die Direktversicherung rangiert auch in einer von Generali Deutschland vorgelegten bAV-Studie weit oben. Mehr als 80 ­Prozent der Mittelständler arbeiten mit der Versicherungswirtschaft zusammen und setzen auf versicherungsförmige Lösungen. Rund die Hälfte plant, ihre Mitarbeiter künftig intensiver über deren bAV zu informieren, zeigt eine Umfrage des Beraters WTW unter 150 bAV-Verantwortlichen. Rund ein Fünftel will die angebotene bAV im Hinblick auf Kosten und Rendite optimieren.

„Es ist sehr hilfreich, wenn Arbeitgeber nicht nur eine bAV anbieten, sondern sie auch genau darüber informieren, welche Zusatzversorgung die Mitarbeiter im Ruhestand erwartet“, sagt Hanne Borst, Leiterin Retirement bei WTW. „Menschen, die von Finanzsorgen geplagt werden, haben den Kopf nicht frei für die Arbeit“, so Borst weiter.

Die vergleichsweise hohe Inflation sorgt sowohl dafür, dass die ­Altersvorsorge aus Sicht der Befragten an Bedeutung gewinnt, gleichzeitig aber auch die eigenen Vorsorgeaktivitäten eingeschränkt werden, zeigt die bAV-Studie 2023 der Unternehmens­beratung Deloitte, für die 2.000 sozialversicherungspflichtige Arbeitnehmer befragt worden waren. Die geringste bAV-Teilnahme gibt es demnach bei älteren Arbeitnehmern mit unterdurchschnittlichem Einkommen bei kleinen Unternehmen.

25 Prozent der Arbeitnehmer mit weniger als 5.400 Euro Monatseinkommen sparen überhaupt nicht. Da absehbar auch keine ausreichend hohe gesetzliche Rente zu erwarten ist, wäre eine Vorsorge über die bAV dringend notwendig. Die Herausforderungen für die bAV-Verbreitung bleiben laut Deloitte im Wesentlichen über die vergangenen Jahre gleich: Viele Arbeitnehmer kennen die bAV-Angebote zur Entgeltumwandlung nicht, haben nach eigener Aussage kein Geld zur Vorsorge übrig oder fürchten starke Einbußen durch Inflation und hohe Kosten. Ein deutlicher Zuschuss des Arbeitgebers könnte­ hier als starker Treiber zur Teilnahme wirken.

Neben einem AG-Zuschuss und guter Kommunikation stehen Sicherheit, Rendite und Flexibilität an oberster Stelle auf dem Wunschzettel der Arbeitnehmer. Dies sollte für jeden Arbeitgeber, der im „War for Talents“ erfolgreich sein will, relativ leicht erfüllbar sein.

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