Auch notleidende Stiftungen können etwas bewirken
Viele Stiftungen sind viel zu klein, um allein etwas zu bewegen. Was es braucht, sind mehr Kooperationen unter Gleichgesinnten und der Mut, sich mit anderen zusammenzuschließen. Das neue Stiftungsrecht schafft die Voraussetzung für frische Perspektiven.
Die deutsche Stiftungslandschaft ist geprägt von einer sehr großen Zahl sehr kleiner Stiftungen. Nach Angaben des Bundesverbandes Deutscher Stiftungen (BVDS) verfügen rund 17 Prozent über weniger als 100.000 Euro Stiftungskapital, bei fast jeder zweiten Stiftung liegt es zwischen 100.000 und unter einer Million Euro, wie eine Erhebung aus dem Jahr 2021 zeigt.
Kleine und mittlere Stiftungen stehen nach Einschätzung von Dr. Verena Staats, Leiterin Recht und Vermögen und Mitglied der Geschäftsleitung im BVDS, insbesondere wegen der seit Jahren niedrigen Zinsen vor großen Herausforderungen. „Aus Gesprächen mit Stiftungsorganen erfahren wir, dass es weiterhin schwierig für Stiftungen ist, ausreichend ausschüttungsfähige Erträge zu generieren und gleichzeitig den Erhalt des Vermögens zu gewährleisten.“
Die Probleme werden größer, wenn Stifter versterben und das Engagement ihrer Mitstreiter nachlässt. Kaum Vermögen, fehlende Nachfolger – hierfür eine Lösung zu finden, wird mit der jetzt anstehenden Stiftungsrechtsreform leichter. Sie greift zum 1. Juli 2023. Ihr Kernziel ist die Vereinheitlichung des Stiftungsrechts und die Einführung eines Stiftungsregisters.
Rechtsfähige Stiftungen bürgerlichen Rechts werden grundsätzlich für einen sehr langen Zeitraum errichtet, erläutert Verena Staats (im ausführlichen Interview „Viele kleine Stiftungen sehen sich als notleidend an“) und spricht von den sogenannten Ewigkeitsstiftungen. „Sie können daher, soweit sie nicht als Verbrauchsstiftung ausgestaltet, nicht so einfach ‚schließen‘. Dies gilt nach geltender Rechtslage, aber auch wenn die Reform des Stiftungsrecht am 1. Juli 2023 in Kraft tritt. Für tiefgreifende Strukturänderungen im Extremfall auch die Auflösung oder Aufhebung der Stiftung müssen immer besondere Voraussetzungen erfüllt sein.“
Neues Recht schafft neue Möglichkeiten
Stiftungen mit kleinem Vermögen, die sich wegen der schlechten Ertragslage wirtschaftlich neu orientieren müssen, werden nach Einschätzung des Deutschen Stiftungszentrums in Essen nun aber deutlich leichter die Möglichkeit erhalten, die Stiftungsmittel gänzlich zu verwenden. Sie können also zu einer Verbrauchsstiftung umgebaut werden, die ihr Vermögen in einem festgelegten Zeitraum vollständig aufzehrt und dann die Arbeit einstellt – sofern die Voraussetzungen hierzu vorliegen. Das betrifft insbesondere Satzungserfordernis. So ließe sich mit wenig Vermögen, das dauerhaft nur magere Erträge für den Stiftungszweck erwirtschaften würde, für einen kurzen Zeitraum viel Gutes tun.
Mit der Stiftungsrechtsreform hat der Gesetzgeber auch den Weg geebnet für die sogenannte Zulegung und Zusammenlegung von Stiftungen: Nach Einschätzung der Experten der Prüfungs- und Beratungsgesellschaft EY ist die Zulegung des Vermögens einer Stiftung im Ganzen auf eine andere Stiftung sowie das Zusammenlegen mindestens zweier Stiftungen zu einer neuen Stiftung jeweils unter Erlöschen der übertragenden Stiftung(en) künftig bundeseinheitlich geregelt.
Nun bedarf es keiner Aufhebung der Stiftungen durch die Stiftungsbehörde, anschließender Auflösung und (langwieriger) Liquidation der übertragenden Stiftung mehr. Deshalb bringen die Neuregelungen eine Erleichterung mit sich. Haben sich die Verhältnisse also wesentlich verändert und ist eine Anpassung durch eine Satzungsänderung nicht ausreichend, können hier entsprechende Lösungen gefunden werden, heißt es bei EY.
Rechtsanwalt Dr. Markus Heuel kommentiert die Auswirkungen der Stiftungsrechtsreform im Gespräch mit unserer Redaktion so: „Wenn sehr kleine Stiftungen heute bei der Stiftungsbehörde einen Antrag auf Auflösung oder Umwandlung in eine Verbrauchsstiftung stellen würde, dann würde dem entsprochen.“ Denn die Behörden sehen, dass die Führung einer solchen Stiftung selbst bei einer Zinserholung den Aufwand nicht rechtfertigt, den sie mit sich bringt, argumentiert das Mitglied der Geschäftsleitung des Deutschen Stiftungszentrums (DSZ), einer Tochter des Stifterverbands in Essen.
Nach neuem Recht sei es expliziter Wille des Gesetzgebers, dass Stiftungen mit einem Vermögen von unter 100.000 Euro aufgelöst oder zugelegt werden können. „Und das würde ich gegenüber einer Stiftungsbehörde auch deutlich machen. Da hat sich wirklich was getan“, betont Heuel. Und er weist darauf hin, dass Stiftungsbehörden schlechten Erfahrungen mit besonders kleinen Stiftungen Rechnung tragen. Wenn jetzt eine bestehende 100.000-Euro-Stiftung auf die Behörde zugeht und sagt: „Wir kommen hier nicht mehr zurecht“, dann könnte die Behörde dem Gedanken folgen: „Wir hätten euch Stand heute auch überhaupt nicht mehr anerkannt. Also gestatten wir auf Wunsch den Verbrauch des Vermögens innerhalb von zum Beispiel zehn Jahren.“ Heuel sieht darin sehr gute und pragmatische Lösungsansätze.
Die Stiftungslandschaft steht vor einem Umbruch
Eine strengere Prüfung der Stiftungsaufsicht bereits bei der Anerkennung einer Stiftung im Gründungsverfahren sowie während ihres weiteren Bestehens beobachtet auch Dr. Frauke Schmidt, Rechtsanwältin und Partnerin der multidisziplinären Wirtschaftskanzlei Möhrle Happ Luther in Hamburg. Schmidt baut den kanzleiweiten Schwerpunktbereich „Stiftungs- und Gemeinnützigkeitsrecht“ maßgeblich mit auf. Sie berät gemeinsam mit ihrem Team vorrangig Unternehmer bei der Gründung gemeinnütziger Stiftungen und begleitet diese von der Anerkennung der Stiftung bis zur Auflösung bei allen rechtlichen und steuerlichen Fragestellungen. Schmidt hat dabei immer wieder Kontakt zur Stiftungsaufsicht sowie zum Finanzamt, wenn die Stiftung gemeinnützig ist.
Zwar verzeichnet Schmidt kein rückläufiges Interesse an der Gründung neuer Stiftungen. Diese werden weiterhin nachgefragt. Sie stellt jedoch fest, dass sich die Prüfungsanforderungen der Stiftungsaufsicht verändert haben. Bei der sogenannten Lebensfähigkeitsprüfung von Stiftungen prüft die Stiftungsaufsicht heute strenger als früher. Bei der Lebensfähigkeitsprüfung geht es, vereinfacht gesagt, um die Frage, ob die zu gründende Stiftung ihren Stiftungszweck oder ihre Stiftungszwecke dauerhaft und nachhaltig erfüllen kann. Gründer müssen der Stiftung heute deutlich mehr Stiftungsvermögen zur Verfügung stellen als noch vor einigen Jahren, damit die Stiftungsaufsicht bereit ist, die Stiftung anzuerkennen.
Diese Hürde, sagt Schmidt, habe sich in den vergangenen Jahren im Zuge niedriger Zinsen und nun auch steigender Inflation noch einmal deutlich verschärft. Der Beraterin sind Stiftungen, die kaum mehr tätig sind, weil sie keine ausreichenden Erträge erwirtschaften, nicht fremd. „Wir sehen kleine Stiftungen, die wirtschaftlich nicht mehr hinkommen. Sie haben den Wunsch, in Verbrauchsstiftungen umgewandelt zu werden oder ihre Tätigkeit zu beenden, was sehr schwierig ist und der Abstimmung mit der Stiftungsaufsicht bedarf.“
In ihrer juristischen Beratung kommt Schmidt daher nun häufiger mit Stiftungen in Kontakt, bei denen die Gremien die Satzung entsprechend ändern beziehungsweise an die veränderten Rahmenbedingungen anpassen möchten. Dies kann ein sehr langwieriger rechtlicher Prozess sein. Daher rät die Expertin angehenden Stiftern, sich im Vorfeld genau zu überlegen, was sie perspektivisch erreichen möchten – und vor allem: über welchen Zeitraum hinweg. Von daher spricht die Rechtsanwältin sich für die Einführung einer Öffnungsklausel in der Stiftungssatzung aus: „Ein Stifter, der eine Stiftung gründet, sagt natürlich: ‚Ich möchte etwas für die Ewigkeit schaffen!‘“
Es sei aber ratsam, in der Satzung festzuhalten, dass der Vorstand irgendwann doch entscheiden kann, dass die Stiftung mit Genehmigung der Stiftungsaufsicht in eine Verbrauchsstiftung umgewandelt werden kann. „Das ist natürlich nicht der ursprüngliche Gedanke des Stifters, aber wir empfehlen, dieses Szenario bei der Satzungsgestaltung zu berücksichtigen, damit wir später nicht vor schwierigen Abstimmungen mit der Stiftungsaufsicht stehen.“
Wenn Stiftungsgremien mit dem Gedanken spielen, die eigene Organisation aufzulösen, sind das für Jens Güldner, Leiter Vermögens- und Stiftungsmanagement bei der Johannesstift Diakonie, Warnsignale. „Diesen Kandidaten müsste man Lösungsvorschläge zur Fusion vorstellen“, rät er. Denn eine gemeinnützige Stiftung aufzulösen, wäre schade. Daher macht Güldner sich unermüdlich stark für eine engere Zusammenarbeit zwischen Stiftungen auf unterschiedlichen Ebenen, um Synergien zu heben und Kosten zu senken. Lange bevor eine Stiftungsfusion spruchreif wird, könnten Stiftungen bereits auf Projektebene kooperieren oder im Stiftungsmanagement.
Der nächste Schritt, der sich dann anbietet, wäre eine Zusammenlegung, etwa mit einer größeren Stiftung. „Das mag schlimm klingen, aber so ergeben sich leistungsfähige Einheiten“, meint Güldner. Er sieht durch das neue Stiftungsrecht einen Lernprozess auf alle zukommen. „Und allen Beteiligten muss man zugestehen, dass sie sich in dem Lernprozess befinden und weiterbilden.“
Stiftungszentren als weitere Anlaufstelle
Mit Blick auf das Heben weiterer Synergien verweist Güldner auf Dachorganisationen wie das Deutsche Stiftungszentrum oder das ihm bestens vertraute Stiftungszentrum des Evangelischen Johannesstifts, bei dem er sich unter anderem um die Finanzen der dort angesiedelten Stiftungen kümmert. Im Stiftungszentrum des Evangelischen Johannesstifts in Berlin werden auch immer wieder neue Stiftungen gegründet. Außerdem werden dort gemeinnützige und unselbstständige Stiftungen verwaltet. Aber auch hier hat sich einiges verändert.
Güldner und seine Kolleginnen und Kollegen klären angehende Stifterinnen und Stifter umfassend auf zum Thema „Volumen und Leistungsfähigkeit“. Denn aufgrund der aktuellen Marktlage werden in letzter Zeit eigentlich nur noch unselbstständige Stiftungen gegründet, berichtet Güldner. Das ist dann eine Zustiftung in den Grundstock des Johannesstifts. Das Stiftungskapital „gehört“ in dem Fall nicht dem Johannesstift, sondern der Zustiftung und wird so entsprechend transparent für Dritte sichtbar bilanziell abgebildet. Die Erträge werden im Sinne der Zustifter verwendet. Das ist etwas, was man inzwischen häufiger sieht. Zum Beispiel bietet auch die SOS-Kinderdorfstiftung dieses Modell an. Sie sagt: „Gründen Sie bei uns eine unselbstständige Stiftung!“ Das Gespräch mit Stiftungszentren können aber auch bereits bestehende Stiftungen suchen – und Dienstleistungen dahin auslagern.
Das Deutsche Stiftungszentrum in Essen wiederum hilft gemeinnützigen Stiftungen in der Organisation, im Management. „Als Stiftungsverwalter nehmen wir ehrenamtlichen Stiftungsorganen die Administration der Stiftung ab“, sagt Geschäftsleitungsmitglied Markus Heuel. Die Dienstleistungen beschreibt er als vielfältig. Sie erstrecken sich „von der Vermögensanlage bis zur Steuererklärung – also sämtliche Dinge, die im Bereich der gemeinnützigen Stiftungen für die Finanzverwaltung dokumentiert werden müssen.“ Denn nur so könne sie nachvollziehen, ob die Gelder, die steuerbegünstigt sind, auch vorschriftsgemäß verwendet worden sind. „Denn es geht darum, dass die Stiftungen ihre Gemeinnützigkeit auch erhalten“, erklärt Heuel und spricht von einer „durchaus komplexen Aufgabe“.
Aktuell betreut das DSZ knapp 700 Stiftungen. Neben dem Stiftungsmanagement gibt einen zweiten Bereich. Dort werden Interessenten mit der Idee, ihr Vermögen, ihr Lebenswerk oder ihr Unternehmen in eine Stiftung einzubringen, beraten und die erforderlichen Schritte in die Wege geleitet. Und obwohl der 1. Juli 2023 noch nicht verstrichen ist, gibt es bereits Behörden, die das neue Stiftungsrecht ein Stück weit leben, berichtet der Rechtsanwalt. Manche Stiftungsbehörde akzeptiert im Rahmen der Errichtung einer neuen Stiftung bereits Regelungen für die Satzung, die eigentlich erst ab dem zweiten Halbjahr zulässig wären, sagt Heuel. Es gebe einen gewissen Pragmatismus. Also genau das, was jetzt so dringend benötigt wird.
Autoren: Tobias BürgerSchlagworte: Stiftungen | Stiftungsrechtsreform | Verbrauchsstiftung
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